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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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geführt. Ich wußte, daß ich für ihn sterben könnte und sterben würde und sterben müßte und daß Sterben nichts bedeute gegenüber dem Glück seine Sklavin zu sein. ›Wer hat dich hereingelassen?‹ fragte er mich. Ich fand keine Antwort. Meine Zunge gehorchte mir nicht. Indem ich ihn anschaute, zitterte ich am ganzen Körper. ›Du bist Tänzerin?‹ – ›Ja, Majestät.‹ – ›Dann tanze.‹ Er stand auf und drückte auf einen elektrischen Knopf, und eine Musik ertönte, ebenso zauberhaft wie die Art, durch die sie hervorgebracht war. Es war, wie wenn ein ganzer Wald mit seinen Mysterien sich in die Höhe hebt und zu singen und zu jauchzen anfängt. Ich tanzte also. Anfangs kam es mir vor, als wenn ich mein Bewußtsein verloren hätte und leblos hinschwebte, aber dann ging eine außerordentliche Verwandlung mit mir vor. Ich spürte den Boden nicht mehr und nicht mehr die Luft, und obwohl es eine Musik war, nach der vielleicht niemand in der Welt sonst zu tanzen vermocht hätte, fühlte ich doch, daß alles was Nerv und Bewegung heißt, gerade in ihr lag. Der König schien überrascht. Das Höhnische, Verächtliche und Finstere verschwand von seinem Gesicht; zuletzt versank er in tiefes Träumen und seine Augen schauten schmerzlich in die weite Ferne. Als die Musik schwieg, stand er auf und reichte mir die Hand, die ich küßte. ›Wer bist du?‹ fragte er. ›Alles was Majestät aus mir machen will,‹ erwiderte ich. Er zuckte zusammen. ›Majestät, Majestät,‹ murmelte er. ›Bald nicht mehr Majestät. Bald nur noch Hund vor dem Tor, bettelnder Hund. Majestät! Jedes Glied einzeln gebunden, jeden Finger verschnürt, jedes Wort beschmutzt, jede Tat bekläfft, das nennst du Majestät. Anfangs hab' ich dem Volk vertraut. Aber die Seele des Volkes ist so tief, daß man sie auf den Knien suchen muß. Ich habe mir den Kopf zerschunden an den Mauern dieses Landes. Alle diese Hände, die du um mich siehst, haben die Zeit wohl benutzt, mich zu verunreinigen. Um Land und Volk und Freund bin ich betrogen worden und muß schweigen und darf nicht einmal Frieden haben in der Einsamkeit. Ich bin um meine Würde betrogen worden und du nennst mich Majestät. Was ist Majestät heute, daß sie sich beugen muß vor einem Krämer, der in einer guten Stunde unter Beihilfe seiner Schwäger und Tanten Minister wurde und zufrieden das christliche Hausbrot ißt? Eine schöne Majestät, die sich der Kirche opfern soll und keine Hand rühren darf ohne den Pfaffen. Wäre ich doch jung gestorben, damals als ich noch glaubte, König zu sein, ein Volk zu besitzen. Wäre ich doch gestorben! Geh' fort, Weib, verlasse mich.‹ Das waren seine Worte, Agathon. Zuletzt war seine Stimme heiser geworden vor Zorn und Scham. Seine Augen hatten sich noch vergrößert und die Brust arbeitete so heftig wie unter anstürmendem Wind. Ich konnte nicht mehr hören, nicht mehr sehen, ich folgte seinem Wink und eilte hinaus.
    Ich sah im Saal, der gegen den linken Flügel führte und als Audienzraum benutzt wurde, sechs bis acht vornehme Herren mit feierlichen Gesichtern, auch einige Offiziere. Sie betrachteten mich voll Staunen. Es war die Deputation des Adels, die Abgesandten vom Hof. Sie wollten den König ›zur Vernunft‹ bringen, Agathon. Bald darauf geschah etwas Schreckliches. Der Adjutant erhielt den Befehl, niemand vorzulassen und stand mit gezogenem Seitengewehr vor der Flügeltür. Er verweigerte der Deputation den Eintritt. Mitten in dem heftigen Hin- und Herreden erschien der König unter der Türe. Er hatte die Schloßwache und die Diener herbeigerufen. Ein Diener sagte mir, daß der Ausdruck seines Gesichts so schrecklich gewesen sei, daß niemand mehr zu atmen, geschweige denn zu sprechen gewagt habe. Mit vernehmlichen Worten befahl der König den Soldaten, die Abgesandten zu binden und ihnen die Augen auszustechen. ›Noch bin ich der König!‹ rief er aus und erhob die Hand. Die Abgesandten wurden von unbeschreiblicher Furcht gepackt. Die Soldaten wagten sich dem Befehl nicht zu widersetzen und wagten nicht zu gehorchen. Der König war seiner nicht mehr mächtig. Er lief auf und ab wie ein wildes Tier, erhitzt und schnaufend, ballte die Fäuste, rollte die Augen, bis es seinem Adjutanten gelang, ihn in eines der Seitengemächer zu führen. Aber der König ließ die drei Saaltüren versperren und vor jeder Türe zwei Posten mit aufgepflanztem Bajonett patrouillieren. Die Deputierten schwebten in Todesangst.
    Nun verstoß der
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