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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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nicht Bojesens Züge? Agathon mußte unwillkürlich lächeln, daß dies seltsam abstoßende Bild eines Menschen, diese schwankende Nachtgestalt solche Ähnlichkeit aufwies. Aber warum starrte nun der Schein-Bojesen so? suchte in seinen Taschen nach Schlüsseln –? brummte, als er sie nicht fand –?
    Es erwies sich, daß es mehr als eine bloße Ähnlichkeit gab zwischen dem falschen Bojesen und dem Bojesen in Agathons Erwartung. Schließlich erhob Agathon in stechendem Schrecken die Hände und öffnete den Mund zu einem Schrei, den seine Kehle ihm nicht bewilligte. Dann fuhr Bojesen, der seine Schlüssel noch immer nicht hatte finden können, zurück und lehnte sich stammelnd an den Laternenpfahl. »Ich – suchte – Sie – sch – schon – l – lange genug – Ag – Agathon,« sagte er.
    Agathon stand auf und trat dicht vor ihn hin.
    Bojesen zog mit einer mechanischen Bewegung den Brief aus seiner Brusttasche. »Da lesen Sie ihn gleich,« sagte er und war plötzlich wieder im Besitz seiner Sprache. »Sagen Sie mir, was es ist. Sagen Sie es mir. Ich vergehe sonst. Ja, ja, ich liebe dieses Weib, kann mich nicht losreißen, verbrenne mir das Herz dabei, verliere mein Seelenheil, mein Geistesheil, alles, alles. Ich bin hin, eine Null, ein hohler Stamm, ein mürbes Blatt, ausgeblasen, bankrott. Was weichen Sie zurück vor mir? Agathon, haben Sie Mitleid! Oder sind Sie die Tugend selbst, daß Sie mich verachten dürfen? Was weichen Sie zurück mit entsetzten Augen?«
    Agathon wich zurück vor dem Schnapsgeruch, der aus Bojesens Munde kam. Bojesen hatte wie ein Fiebernder geredet, mit überstürzten Sätzen, purzelnden Worten und theatralischen Armbewegungen.
    »Nein, nein, ich bin nicht betrunken,« fuhr er fort und ballte die Fäuste; »nur ein paar Gläser Grog, das ist alles für einen Bankrotteur. Agathon lesen Sie den Brief (seine Stimme wurde heiser) und seien Sie aufrichtig mit Ihrem Freund –«
    Da wandte sich Agathon, nachdem er den Brief an sich genommen und ging fort, so schnell er immer konnte. Und hinter sich hörte er den verzweifelten, ersterbenden Ruf in die Nacht verhallen: Agathon! Agathon! Als er die Wasseralleen erreicht hatte und den Fluß neben sich rauschen hörte, vernahm er es immer noch, dies: Agathon, als ob es aus dem Bett des Stromes käme.
    Der Tag war für ihn beschlossen und das Jahr. Und viele Bauten, die unlängst noch prächtige Pforten vor ihm aufgetan hatten, schlossen diese Pforten von selbst wieder. Über der schier mit Händen zu greifenden Finsternis der Allee sah er eine brennende Stadt, ein brennendes Land. Erst brannte es sichtbar und lichterloh, dann war das Feuer unterirdisch und man hörte keinen Hilferuf.
    Er kam an die Stelle, wo die Neubauten waren. Das Haus, in dem damals der Trockenofen gebrannt, war schon bewohnt. Aber daneben war noch ein anderer Neubau und heute brannte in diesem der Trockenofen und verbreitete seine düstere Röte in dem Gebäude und in dem Buschwerk der Umgebung. Nach einiger Mühe gelang es Agathon, sich durch das verrammelte Tor zu zwängen. Er legte sich vor den Ofen und bemerkte, daß seine Knie vor Kälte schlotterten. Doch er empfand es kaum. Sein bleiches Gesicht zuckte nur bisweilen unter der ungeheueren Bewegung seines Innern.
    Schließlich, Stunden mochten verronnen sein, und die Hähne begannen schon zu krähen, erinnerte er sich des Briefes. Er sah ihn an und erkannte Jeanettens Schriftzüge. Er riß ihn auf und eine Banknote fiel heraus. Auf dem Papier stand mit gleichsam entsetzten und befehlenden Lettern nichts als eine Adresse der Hauptstadt und die Worte: Komme sogleich hierher.

Achtzehntes Kapitel

    Bevor noch der Morgen graute, stand Agathon auf dem Bahnhof und erfragte die Abfahrtszeit des nächsten Zuges nach der Residenz. Um ein Viertel nach acht Uhr sah er sich durch die Ebenen Frankens rasen, über denen ein milder Nebel lag, sah Flüsse unter sich und neben sich verschwinden, tauchte den Blick in die Nacht raschverfliegender Wälder, suchte das Bild von Dörfern festzuhalten, die sich ängstlich an sanft ansteigende Höhen klammerten, von Städten, die erst aufzuwachen schienen, und er glaubte, dies alles sei vorher gar nicht dagewesen, sondern sei um dieses einen Tages willen eigens für ihn gemacht. Dann kamen Mittelgebirgsländer mit der idyllischen Ruhe dicht-zusammenliegender Marktflecken, mit alten Steinbrüchen, tiefen Tälern, kahlen Hügelketten, vergoldet von der Morgensonne, die sich schlaftrunken aus
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