Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
umlagernden Wolken löste, dann ein Strom, breit und grün, dann wieder eine endlose, dürre Ebene, über der es zu regnen anfing, alles eine Folge von sich jagenden Bildern wie in einem Scheindasein.
    In der Residenz angelangt, suchte er sogleich die Straße, die ihm Jeanette angegeben. Betäubt von Lärm und Getöse, aber ganz ohne Aufnahmefähigkeit für die Dinge um sich her, gelangte er endlich vor das Haus. Eine alte Frau öffnete ihm. Auf sein Fragen wies sie ihn ohne weiteres in ein längliches, etwas dumpfes Zimmer und bedeutete ihn, er möge warten.
    So wartete er. Er hatte sich auf einen niedrigen Sessel gesetzt und blickte mit unbewegtem Gesicht vor sich hin. Er konnte kaum begreifen, wie er hierher gelangt war. Seine Wangen waren fahl, seine Augen erloschen, seine Haltung zeugte von einem sich verkriechenden Schmerz.
    Plötzlich ging die Tür auf. Herein trat Jeanette. Sie warf Hut und Mantel achtlos in eine Ecke. Sie schien außer Atem, ihr Blick abgehetzt wie so oft und von trügerischem Feuer erfüllt. Sie hatte Agathon kaum begrüßt, als sie auf den nächsten Sitz sank, die Hände vor das Gesicht schlug und laut aufstöhnte.
    »Warum bist du nicht früher gekommen, Agathon?« murmelte sie nach einer Weile. »Ich habe dich erwartet. Ich brauchte einen Menschen, ich brauchte dich, ein einziges Herz in dieser Wüste, ich wollte dich sehen, dein zuhörendes Auge sehen, den Rat hören, der in deinem Schweigen liegt, denn du bist klüger als du ahnst.«
    Agathon stand auf und trat zu ihr. Als er sie berührte, sah sie zu ihm empor. Seine Berührung schien sie zu trösten. Sie drückte ihm die Hand. »Ich glaubte, ich hätte den Verstand verloren,« sagte sie und strich sich über die Stirn. »Setz dich zu mir, Agathon, ich will dir erzählen. Wie köstlich, wie gut, daß du da bist und ich zu dir reden kann!«
    Und sie erzählte.
    Sie war, wie schon vorher verabredet, auf eines der königlichen Schlösser gebracht worden, in dem sich der Fürst gerade aufhielt. Es war ein unerhörter Glanz, der sie mitten im Hochwald empfing. Sie hatte den Eindruck, als verfolge man mit ihrer Person irgend eine Absicht bei dem Monarchen, der seit Jahren sich von allen Frauen ferngehalten. Sie sah also den König. Jene Leidenschaft, deren Gefäß sie von da ab war, erfüllte sie sogleich beim ersten Anblick. Er war von ziemlich fetter, aber zugleich riesenhafter Gestalt. Seine Schultern waren so breit und mächtig, daß sie für jeden, über den sie sich beugten, etwas Zermalmendes hatten. Sein Gesicht war außergewöhnlich bleich, sein Haar glanzlos, tiefschwarz und stand so dicht wie das Gras vor dem Mähen. Doch all das wurde belanglos durch die Augen. Tiefblau wie die Gebirgsseen, waren sie von einem hinreißenden Ausdruck, von einem heftigen Feuer erfüllt. Es schien, daß ihnen keine Qual erspart geblieben, daß sie keine Schönheit unwiderstrahlt gelassen. Niemand konnte ertragen, furchtlos in sie zu schauen. Seine Kleidung war die eines einfachen Bürgers. In seinem Wesen war wenig von Majestät. Ruhelosigkeit, die Angst des Verfolgten, machtloser Zorn, tiefe Bitterkeit beherrschten ihn.
    »Es schien etwas Schreckliches im Werk zu sein,« fuhr Jeanette fort. »Das ganze Schloß, die Dienerschaft, die Offiziere, alles war in Bewegung, in Hast, in Erwartung. In der Nacht fuhr der König in sechsspänniger Karosse in die Residenz und Vorreiter mit Fackeln beleuchteten den Weg. Er verschmäht es die Bahn zu benutzen. Am Morgen, ich hatte nicht schlafen können, sondern war am Fenster gelegen und hatte in den Wald gestiert, am Morgen kam er wieder und die Unruhe, die ich an ihm bemerkt, hatte sich verzehnfacht. Ich beobachtete ihn vom Fenster aus und sah, wie sein gewaltiger Körper sich fröstelnd schüttelte, als er den Wagen verließ. Einen Augenblick lang kam es mir vor, als wolle er zusammenbrechen unter einer Last. Die Diener gingen hin und her, ich glaube, sie wußten nicht warum. Bald nach seiner Ankunft führte mich der Adjutant, der sein Freund und Vertrauter war, zu ihm, und ließ mich mit ihm allein.«
    Jeanette schwieg lange. Dann begann sie mit etwas erhobener Stimme wieder. »Ich werde mein Lebelang diese Stunde nicht vergessen, Agathon, und wenn ich so alt würde, wie die Erde selbst. Als ich hineintrat in den Saal, der von Licht und Gold strahlte, wußte ich, daß meine Seele diesem Mann unwiderruflich angehöre, und ich küßte in Gedanken die geheimnisvolle Hand des Schicksals, die mich zu ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher