Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley Under Water

Ripley Under Water

Titel: Ripley Under Water
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
1
    Tom stand in Georges’ und Maries bar-tabac mit einer fast vollen Espressotasse in der Hand. Er hatte schon gezahlt; die beiden Schachteln Marlboro für Héloïse beulten seine Jackettasche. Er beobachtete einen Mann vor einem Videospiel.
    Auf dem Bildschirm raste ein Motorradfahrer, eine Figur wie aus dem Comic, geradeaus in den Hintergrund davon. Die Illusion der Geschwindigkeit entstand durch den Lattenzaun beiderseits der Straße, der nach vorne entschwand. Der Spieler bediente einen halbrunden Steuerknüppel und ließ den Fahrer ausscheren, um ein langsameres Auto zu überholen oder wie zu Pferd über einen Zaun zu springen, der plötzlich die Straße blockierte. Wenn Fahrer oder Spieler die Hürde zu spät nahmen, prallte das Motorrad lautlos dagegen, und ein schwarzgoldener Stern zeigte den Unfall an: Ende des Spiels, Ende des Fahrers. Tom hatte bei dem Spiel schon oft zugeschaut (es war beliebter als jeder andere Automat, den Georges und Marie je aufgestellt hatten), aber nie selber gespielt. Aus irgendeinem Grund wollte er das nicht.
    »Non – non!« Marie hinter der Theke übertönte den üblichen Lärm; sie widersprach einem Gast, der sich wahrscheinlich politisch geäußert hatte. Ihr Mann und sie waren eingefleischte Linke. » Ecoutez , Mitterand…«
    Tom mußte denken, daß der Zustrom nordafrikanischer Einwanderer den beiden trotzdem nicht gefiel.
    » Eh, Marie! Deux pastis! « Das war der dicke Georges, eine schmuddelige Schürze über Hemd und Hose, der an den wenigen Tischen bediente, wo die Gäste sitzen konnten, um etwas zu trinken und Chips oder hartgekochte Eier zu essen.
    Die Musikbox spielte einen alten Cha-Cha-Cha.
    Ein lautloser, schwarzgoldener Stern! Die Umstehenden seufzten mitfühlend. Tot, aus, Ende – alles vorbei. Beharrlich flackerte die stumme Aufforderung über den Bildschirm: GELD EINWERFEN GELD EINWERFEN GELD EINWERFEN , und gehorsam fischte der Arbeiter in der Hose seiner Bluejeans nach Münzen, warf Geld nach, und das Spiel begann von neuem: Der Motorradfahrer raste los, heil und wie neu, gegen alles gewappnet, wich elegant einem Faß auf der Fahrbahn aus und übersprang mühelos die erste Barriere. Der Mann am Steuer war hoch konzentriert, versessen darauf, seinen Mann ins Ziel zu bringen.
    Tom dachte an Héloïse, an ihre Reise nach Marokko. Tanger wollte sie sehen, Casablanca, vielleicht auch Marrakesch. Und er hatte gesagt, er werde mitkommen. Schließlich war das nicht eine ihrer Abenteuerkreuzfahrten, die vor dem Auslaufen diverse Impfungen in Krankenhäusern erforderten, und es gehörte sich, daß er als ihr Gatte sie bei manchen ihrer Spritztouren begleitete. Héloïse hatte zwei oder drei dieser spontanen Eingebungen pro Jahr, die sie aber nicht immer in die Tat umsetzte. Tom war gerade nicht in Urlaubsstimmung: Es war Anfang August, der heißeste Monat in Marokko – zu dieser Zeit des Jahres gefielen ihm seine Rosen und Dahlien besonders gut, und er schnitt fast täglich zwei, drei frische Blumen für das Wohnzimmer. Tom hing an seinem Garten, und er hatte auch nichts gegen Henri, der ihm gelegentlich bei größeren Arbeiten half – der war stark wie ein Riese, doch für gewisse Aufgaben nicht der richtige Mann.
    Dann dachte er an dieses Paar, die »Seltsamen Zwei«, wie Tom sie inzwischen im stillen getauft hatte. Er wußte nicht, ob sie verheiratet waren, doch das war ja nicht wichtig. Er spürte, daß sie hier in der Gegend auf der Lauer lagen und ihn nicht aus den Augen ließen. Vielleicht waren sie harmlos, aber man konnte nie wissen. Tom waren die beiden erstmals vor rund vier Wochen aufgefallen, als Héloïse und er in Fontainebleau einkaufen gingen: ein Mann und eine Frau, Mitte Dreißig, dem Aussehen nach Amerikaner. Sie waren auf ihn zugekommen und hatten ihn mit diesem Blick gemustert, den er gut kannte – als wüßten sie, wer er sei, und kannten womöglich auch seinen Namen, Tom Ripley. Den gleichen Blick hatte er ein paarmal auf Flughäfen gespürt, wenn auch selten und zuletzt gar nicht mehr. Vermutlich passierte so etwas öfter, wenn eine Zeitung das Foto von jemandem brachte; aber seit Jahren war in den Blättern kein Bild von ihm mehr erschienen, da war Tom sicher. Nicht seit der Sache mit Murchison, und die lag rund fünf Jahre zurück: Der Blutfleck – Murchisons Blut – war im Keller nach wie vor zu sehen, und wenn er irgendwem auffiel, sagte Tom, es sei Rotwein.
    Tatsächlich war es eine Mischung aus Wein und Blut, erinnerte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher