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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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Gudstikker sehr vertraut taten, sich an seinen Arm hingen, lachten, trällerten, scherzten, nach Wein riefen und sich auf jede Weise geräuschvoll gebärdeten. Sie waren mit nichts bekleidet als mit einem Hemd und langen Strümpfen; ihre Augen glänzten krankhaft, oder schienen müde, ihre Bewegungen waren geziert, ihr Lachen übertrieben, ihre Scherze zynisch. Ihr Gang hatte etwas Schwankendes, das Spiel ihrer Hände und Finger etwas Gieriges und Abenteuerliches. Seltsamerweise beachteten sie Agathon gar nicht: manche blickten scheu nach ihm hin, aber taten dann wieder, als sähen sie ihn nicht. Bisweilen erschien eine ältere Dame und führte Reden, die etwas Anfeuerndes haben sollten; bisweilen auch läutete eine Glocke, dann verschwand eines der Mädchen lächelnd und die andern sahen teilnahmlos ins Leere, immer dieselbe auffordernde Miene beibehaltend.
    Gudstikker benahm sich wie zu Hause. Gönnerhaft verabreichte er seine Worte, lehnte sich breit und behaglich auf den verschabten Polstern zurück, klatschte leutselig auf nackte Arme, schlug ein paar Takte auf einem schrillklingenden Klavier an, lächelte nachsichtig, wenn ihn die Mädchen neckten und den schwarzen Doktor nannten, doch bei alledem schwand eine gewisse ernste Falte nicht von seinem Gesicht und ein stechender Blick nicht aus seinen Augen. Bald ging er weiter mit Agathon in ein daneben befindliches Gebäude, und Agathon folgte, betäubt durch eine beengende Erwartung, die er nicht deuten konnte. Wiederum sah er den verkommenen Putz erbärmlicher Prunkstuben, halberblindete Spiegel, von Staub zerfressene Goldrahmen; wieder sah er die für den Gebrauch der Nacht überschminkten Frauengesichter, in denen jedes Leiden, jeder Schmerz, jedes Nachdenken, jede Erinnerung, jede Feinheit verschwunden war, wiederum roch er die abgelagerte Luft von gestern, atmete den Rauch der Zigaretten, den Dunst der Weine und wurde behandelt wie einer, der nicht da ist oder den man nicht sieht. Er sah in dunkle Nebenkammern, wie man auf einer längstverödeten Straße Wagenspuren verfolgt; das heimische Laster hatte seine Spuren selbst in die Finsternis gegraben. Er sah in andern Stuben junge Männer lungern und sich erhitzen um einen Kuß, von dem sie vergessen wollten, wie feil er war und wie jedem er gewährt worden war. Er sah Spielkarten fliegen und hörte rohe Scherze durch die Wände dringen, Pfropfen knallen, Goldstücke rollen und glaubte zu erkennen, wie mancher seine Ohren verschloß gegen die Stimmen, die er nicht hören wollte, nie hören durfte, ohne den Verstand zu verlieren. Er erblickte die Kammern dieser Frauen und Mädchen, die von unsinnigem Zierat starrten, worin sie sich bei Tag einem bleiernen Schlaf überließen, worin ein rotes oder grünes Licht künstliche Schwülnis hervorbrachte und selbst den abgeschabten Stellen der Tapete etwas Schmückendes verlieh, gleich dem Märchen von der ersten Sünde und der poetischen Verführung, das die Bewohnerin in seinem matten Schein ersinnt und dem empfindsam gewordenen Besucher verabreicht. Er sah die verschnörkelten, steilen Treppen, auf denen die Mädchen hinauf- und hinabeilten und dabei berechneten, wieviel sie noch verdienen müßten, um sich bezahlt zu machen dafür, daß sie hier in Hemd und Strümpfen sich mästen durften, ohne daß man mehr von ihnen verlangte, als daß sie lachten, lachten, immer lachten. Mochten sie fett oder mager sein, blond oder schwarz, alt oder jung, sie hatten keine Aufgabe, als die, zu lachen. Und jedes neue Läuten der Glocke brachte einen neuen Gast in diese Krämerei, wo lebendiges Fleisch verhandelt wurde: Junge Menschen, die mit zitternden Lippen und studiertem Gleichmut unter der Schwelle standen, um zu warten, was man mit ihnen beginnen würde; schiefe Greise, die einen letzten Funken ihres vergehenden Lebens anzufachen bemüht waren; Männer, von Langeweile und Gewohnheit hergetrieben, Knaben sogar mit den erschreckenden Zeichen vorzeitiger Fehltritte in den Augen, die sie wissend einem alles verschlingenden Abgrund zueilen ließen, Bräutigame, die ein Mittel suchten, die ideale Schwärmerei des Brautstandes zu überdauern, geachtete Bürger, die liebenswürdige und gute Frauen besaßen, Lehrer, Beamte, Studenten, Handwerker ... Wie um Erbarmen stehend, suchten Agathons Augen diejenigen Gudstikkers und diese antworteten: Hier gibt es kein Erbarmen. Und Agathon verlor Ruhe, Kraft und Besinnung und Bild auf Bild in stummer Reihenfolge bedrängte ihn. Oft war es
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