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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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    Agathon näherte sich ihr, beugte sich herab, ergriff ihre Hand und schaute sie an. »Was hast du getan, Monika? Warum schweigst du? Warum verschweigst du mirs?«
    Monika erhob beide Arme und legte die Hände um Agathons Nacken. So sah sie zu ihm empor mit einem feierlichen Blick, der etwas Drohendes in der Ferne zu erblicken schien und sagte, jede Silbe betonend: »Er hat mich betrogen. Geh hin und räche mich. «
    »Monika!« flüsterte Agathon und machte sich los von ihr.
    »Es ist so finster,« sagte Monika verstört und schauerte zusammen. »Es wird schon Nacht. Ja, ich habe mich ihm hingegeben, ganz und gar. Aber denke nicht schlecht von mir, Agathon, was wußte ich denn von solchen Künsten, wie er sie besitzt. Gehst du, Agathon? Jetzt willst du gehen? Bleib doch –!«
    Als die Türe sich hinter Agathon geschlossen hatte, warf sie sich jammernd zu Boden. Aber bald darauf kam er wieder und fragte sie, die hilflos vor ihm lag. »Wo wohnt er?«
    Monika, das Gesicht gegen die Dielen gewandt, nannte die Straße und das Haus.
    Gudstikker war daheim, als Agathon bei ihm anklopfte. Er hatte seine Abreise verschoben. Er zeigte ein überraschtes und freudiges Gesicht bei Agathons Anblick und ging mit ausgestreckten Händen auf ihn zu, blieb aber auf halbem Wege wie angewurzelt stehen. »Was machen Sie denn für ein Gesicht, Verehrungswürdiger,« sagte er erblassend, halb scherzhaft, halb trotzig.
    Agathon stand ihm gegenüber, und er fühlte plötzlich all seine Kraft wie verblasen. Voll von brennendem Zorn, der sein Herz zusammenzog, war er noch die Treppe heraufgekommen, aber sobald er in dies lügnerische Gesicht geblickt, war er entwaffnet. Es war die Lüge selbst, die ihm entgegentrat. »Ich komme wegen Monika,« das war alles, was er herausbrachte und Gudstikker nickte vor sich hin, als ob es ihn traurig mache, diesen Namen zu hören. Er ist eine jüdische Natur, dachte Agathon plötzlich, indem er das Wort in seinem häßlichsten Sinn faßte; Gudstikker schien ihm der jüdischste Mensch, den er je getroffen.
    »Monika! Ein schöner Name, ein herrliches Mädchen,« begann Gudstikker, wie in Erinnerungen verloren und schritt langsam auf und ab. »Wir haben zusammen den Lenz des Lebens genossen. Sie hat mich über eine wüste Strecke meines Daseins mit Flügeln hinweggetragen. Ich danke ihr viel und meinem Herzen bleibt sie, was sie war. Sie würde es nicht bleiben, wenn ich kleinlich sein und unsere Schicksale auch weiterhin verketten wollte. Nach bürgerlichen Begriffen hätte ich vielleicht die Pflicht, es zu tun, aber meine Aufgabe ist es jetzt, mit den bürgerlichen Begriffen zu brechen, ja sogar sie als das zu zeigen, was sie sind, nämlich Gespenster, die den holden Tag des Glückes verfinstern. Der schaffende Geist muß frei sein. Was allen andern rücksichtslos erscheint, ist für ihn ein Naturgesetz und die einzige Möglichkeit der Selbsterhaltung.«
    Erstaunt blickte Agathon auf diese redseligen Lippen. Er schwieg.
    »Ja, eine gewisse Grausamkeit ist nötig, das wird mir immer klarer,« fuhr Gudstikker fort; »sie ist nötig, um die widerwilligen Dämonen des eigenen Lebens gehorsam zu machen. Nicht um schlechthin tugendhaft zu sein, sind wir da, sondern um aus unseren Gaben Tugenden zu machen. Sie, Agathon, sind ein wenig allzusehr reiner Idealist. Es fehlt Ihnen an Kenntnis des Lebens. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: seien Sie einmal eine Nacht lang mein Begleiter. Lassen Sie mich von jetzt an bis zum Morgengrauen Ihren diable boiteux sein. Haben Sie schon zu Abend gegessen? Vortrefflich, dann kommen Sie.«
    Wie gebannt folgte Agathon jeder Bewegung, jeder Geste Gudstikkers. Zugleich empfand er ein unheimliches Grauen vor seiner Zunge, die bisweilen hinter dem schwarzen Schnurrbart hervorblitzte wie ein Flämmchen. Er suchte sich all diesem zu entziehen, aber umsonst. Er folgte Gudstikker, der mehrmals kurz vor sich hinlachte, ins Freie,
    Der Weg führte sie durch dunkle Gassen in die Vorstadt, wo verrufene Häuser standen, wo wenige Laternen ein dürftiges Licht spendeten, und wo Schutzleute zu zweien und dreien gingen, streng, finster, sorgsam spähend.
    Sie kamen zunächst an ein einstöckiges Häuschen, über dessen Portal eine grüne Lampe brannte. Die Fenster waren dicht verhängt.
    Als Gudstikker das Tor geöffnet hatte und in einen mit verblichener, gleichsam abgesessener Pracht ausgestatteten Raum getreten war, kam den beiden eine Schar von geschminkten Mädchen entgegen, die mit
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