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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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weh? Ist irgendwas gebrochen?«
    Das Knurren und Zähneknirschen kommt drohend näher.
    Ben sagt nichts, sondern sieht mich nur an und schüttelt den Kopf. Ich hebe ihn hoch. »Wir müssen los. Sissy! Wo bist du?«
    Ein kürzerer Blitz, der die Umgebung für einen Moment beleuchtet. Gerade lange genug, um die Hepra zu sehen, die sich vom Boden aufrappeln. Alle bis auf Sissy, die am weitesten entfernt immer noch im Schlamm liegt. Es donnert laut, als ich zu ihr laufe.
    »Sissy, du musst aufstehen! Wir müssen weiter.«
    Sie ist völlig erschöpft, aber ich ziehe sie auf die Füße. »Sissy!«, schreie ich und ihr Blick wird wieder klar. Panik und Angst verdrängen die neblige Benommenheit in ihren Augen.
    »Wo sind die anderen? Sind sie verletzt?«, fragt sie.
    »Es geht allen gut. Aber wir müssen weiter. Zeig uns, wo das Boot ist!«
    »Nein! Unsere Vorräte, der FLUN , wir brauchen sie!«
    »Dafür bleibt keine Zeit, sie sitzen uns schon im Nacken!«
    »Ohne werden wir nicht überleben …«
    Hyänenartiges Lachen dringt an unsere Ohren, so nah, dass ich die verschiedenen Stimmen unterscheiden und ihr Gesabber förmlich hören kann.
    »Sissy! Hör zu«, rufe ich und zeige auf die anderen Hepra, »mir folgen sie nicht. Sie hören nur auf dich. Sag ihnen, sie sollen zu dem Boot rennen. Sag ihnen …«
    Ein Blitz erleuchtet den Himmel und das feuchte Land. Ich sehe es, das Boot, ganz in der Nähe zum Glück, etwa einhundert Meter entfernt. Aber dann sehe ich die wimmelnden Massen.
    Sie haben uns fast erreicht. Selbst in dem kurzen Blitz erkenne ich ihre blassen, glänzenden Körper, die mit furchterregender Geschwindigkeit auf uns zuspringen wie Kieselsteine, die auf dem Wasser hüpfen.
    Als es blitzt, werfen sich alle zu Boden, wie die Stacheln eines in die Enge getriebenen Igels, und heulen wütend auf.
    »Jetzt, Sissy!«, rufe ich.
    Aber sie ist schon losgerannt, sammelt die anderen und treibt sie vorwärts. Ich laufe ihnen nach, der Boden quietscht unter meinen Schritten, der Schlamm saugt gierig an meinen Schuhen wie ein Kuss des Todes, ich renne in Zeitlupe.
    Es ist wieder stockfinster. Mehrere Donnerschläge grollen am Himmel. Wieder regnen feuchte Lustschreie auf uns herab.
    Sie kommen.
    Hinter mir höre ich Schritte im Schlamm, flüster, flüster, flüster, haucht es in meinem Nacken.
    »Lieber Gott!«, schreie ich. Worte, die ich seit Jahren nicht laut ausgesprochen, aber früher mit meiner Mutter jeden Abend gebetet habe. Ihre sanften Augen waren voller Güte und meine kleinen Hände waren in ihre gefaltet. Vergessene Worte, so tief in mir vergraben, dass nur die Schaufel der nackten Angst sie zutage fördern kann. »Lieber Gott!«
    Es ist kein einzelner Blitz, der den Himmel erleuchtet, sondern ein ganzes Netz kreuzender Blitze, das sich über die Erdkuppel spannt. So hell, dass sogar ich einen Moment lang geblendet bin, die ganze Welt unfassbar weiß gebleicht. Doch ich renne mit geschlossenen Augen weiter, weil sich das Boot als Schwarz-Weiß-Negativ in meine Netzhaut gebrannt hat.
    »Nicht stehen bleiben, weiterlaufen!«, rufe ich, während überall um uns herum ein wütendes, schmerzerfülltes Geheul ausbricht. Als ich die Augen wieder öffne, stehe ich an dem Steg. »Hier drüben!«, rufe ich, bevor mir klar wird, dass die anderen schon vor mir den Steg hinunterlaufen, ihre Schritte hallen hohl auf den Brettern. Ich renne hinterher. Sie springen ins Boot, und Sissy wirft schon die Ankerleine an Bord, während Epap den Pfahl greift, der seltsamerweise bereitliegt, um das Boot vom Ufer abzustoßen.
    Weil ich die Nachhut bilde, bin ich der Einzige, der erkennt, was verkehrt ist. Was total verkehrt ist.
    Ich wende mich um, doch es ist zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
    »Steig ein!«, ruft Epap. »Worauf wartest du?«
    Ich beuge die Knie zum Sprung und zögere.
    »Steig ein.«
    Ich bin wie erstarrt, unfähig, meine Beine zu bewegen. Ich drehe mich noch einmal um. Der Steg ist immer noch leer.
    Die gequälten Schreie werden lauter. Bald sind sie wieder auf den Beinen. Sie werden uns in Sekunden erreicht haben.
    »Fahrt ohne mich los!«, rufe ich. »Fahrt immer weiter, ich hol euch ein!«
    »Nein, Gene, lass das Pferd, sei kein Idiot …«
    Aber ich renne bereits den Steg hoch.
    Kleine Blitze wie ein Nachbeben des apokalyptischen Gewitters fegen über den Himmel, genug, um sie für ein paar Sekunden in Schach zu halten und mir den Weg zu erleuchten.
    Da, vor der Kutsche. Nicht das Pferd.
    Sondern
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