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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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umzufallen. Lass es wenigstens für eine Minute zu Atem kommen.«
    »Eine Minute haben wir nicht. In einer Minute sind sie hier!« Er zeigt in die Dunkelheit, aus der erregte Schreie herüberschallen.
    Ich ignoriere ihn, weil er Recht hat, und springe vom Kutschbock. Ich spüre, wie die Muskeln des Tieres krampfen, als ich meine Hand auf seine Beine lege. »Gutes Pferd, gutes Pferd, ich hab dich zu sehr angetrieben, was?«
    Epap dreht sich um und zeigt ungläubig auf mich. »Ist es zu fassen? Versucht ausgerechnet jetzt, den Pferdeflüsterer zu spielen. Sissy, was machst du?«
    Sissy rennt zum Fluss. Am Ufer bückt sie sich und kommt mit einer Schale zurück, in der man das Wasser schwappen hört. Das Pferd taucht sein Maul in die Schüssel und schlürft gierig. In weniger als fünf Sekunden ist die Schüssel leer und es wiehert nach mehr.
    Sissy streicht über den Kopf des Pferdes. »Ich wünschte, ich könnte dir noch mehr geben, aber wir haben keine Zeit. Wenn du weiterläufst und das Boot für uns findest, verspreche ich dir so viel Wasser, wie du nur willst. Aber erst musst du das Boot finden. Schnell. Schnell!« Die letzten beiden Worte ruft sie und gibt dem Pferd einen Klaps auf die Flanken. Es blinzelt, wiehert und trabt an. Wir springen zurück auf die Kutsche. Und das Pferd prescht wieder los.
    Das Brüllen in unserem Rücken wird lauter. Regen fällt in fetten, schweren Tropfen.
    Wir stapfen weiter, zunächst nur bildlich, dann auch buchstäblich. Der Boden wird matschig und tief wie ein weicher Schwamm, der die Räder der Kutsche und die Hufe des Pferdes ansaugt. Sogar der böige Wind ist gegen uns. Er weht uns ins Gesicht, trägt unseren Geruch zu der näher rückenden Horde und feuert sie damit weiter an. Regentropfen stechen in unseren Augen.
    Die Luft ist von so tiefer Dunkelheit gesättigt, dass selbst das Pferd in der Nacht verschwimmt und nur sein mühsamer Atem und die Bewegung der Kutsche Beweis dafür sind, dass es überhaupt da ist.
    Sissy hat sich in Schweigen gehüllt. Bei meinen verstohlenen Seitenblicken sehe ich nur ihre zusammengepressten Lippen, ihre gegen den Regen anblinzelnden Augen und Haarsträhnen, die schräg auf ihrer Stirn und den Wangen kleben. Ein Heulen fegt über die Ebene, beunruhigend nah. Sie sieht mich an und ich nicke.
    Sie schnallt mir den einen FLUN auf den Rücken und packt den anderen fest mit beiden Händen.
    Ein Zischen und Knurren, das zu einem Chor anschwillt. Nicht hinter, sondern jetzt neben uns.
    Sissy entsichert die Waffe.
    Donner grollt. Unvermittelt hoffnungsvoll reiße ich den Kopf hoch.
    Das Heulen schwillt an, voller Unbehagen.
    Und dann zuckt ein Blitz quer über den Himmel, grell und überwältigend. Die Umgebung tritt wie ein schwarz-weißes Relief aus dem Dunkel, die Berge im Osten mit ihren schwarzen Schluchten, der Fluss wie ein Spiegel aus geschmolzenem Silber.
    Ich drehe mich um, und in der Millisekunde, bevor das Land wieder in Finsternis versinkt, sehe ich sie: eine endlose Schar, die auf uns zuströmt. Um sich vor dem Blitz zu schützen, lassen sie sich für einen Moment flach auf den Boden fallen wie Spielkarten. Aber es sind so viele. Und so nah. Nur einen Steinwurf entfernt. Ihre Augen glänzen im grellen Licht, ihre Reißzähne glitzern.
    Ein krachender Donnerschlag erschüttert das Land und rollt in der Ferne aus, abgelöst von Wut- und Schmerzensschreien. Sie sind alle vom Blitz geblendet worden. Das verschafft uns vielleicht eine weitere Minute.
    »Hast du es gesehen?«, ruft Sissy und packt meinen Arm. »Hast du es gesehen?!«
    »Ich weiß, ich weiß, aber keine Angst …«
    »Das Boot!«, kreischt sie und springt auf und ab. »Ich hab es gesehen, ich hab es gesehen, es ist wirklich da!« Sie dreht sich um und ruft den anderen zu: »Ich habe das Boot gesehen, es ist direkt vor …«
    Im selben Moment fährt die Kutsche in ein Schlammloch, die Räder versinken im Matsch und blockieren. Sissy wird vom Kutschbock in die Dunkelheit katapultiert. Auch mich reißt es vom Sitz, doch ich bleibe mit den Füßen an dem vorderen Geländer hängen und lande auf dem schweiß- und regennassen Rücken des Pferdes.
    Als ich mich aufrichte, dreht sich die Welt vor meinen Augen. Wo ist oben, wo ist unten, wo links, wo rechts? Norden, Süden, alles ist durcheinandergeraten. Neben mir weint ein kleiner Junge: Ben. Ich laufe zu ihm und zerre ihn aus dem Matsch. Wie ich ist er von oben bis unten mit Schlamm bedeckt.
    »Ben! Alles okay! Tut dir irgendwas
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