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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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bestens sehen.«
    Sie dreht sich um, und als sie mich wieder ansieht, ist ihr Gesicht von Sorge gezeichnet. Ich brauche gar nicht zu fragen. Das Geräusch der hinter uns heranstürmenden Massen wird von Minute zu Minute lauter.
    »Die Karte ist verschwunden«, sagt sie mutlos.
    »Schon okay«, erwidere ich, den Blick fest nach vorn gerichtet. »Wir brauchen sie nicht. Wir müssen immer geradeaus fahren, dann erreichen wir den Fluss. Und wenn wir dem Fluss nach Norden folgen, sollten wir bald auf das Boot stoßen. Ganz einfach.«
    »Ganz einfach«, wiederholt sie und schüttelt den Kopf. »Das hast du auch von deinem Plan gegen die Jäger behauptet. Es war die reinste Katastrophe. Du hast doch gesagt, es würden nur drei sein und nicht fünf.«
    »Und ihr habt mir alle versichert, dass ihr die FLUN s bedienen könnt. Stattdessen hat Epap voller Panik seine komplette Munition in den ersten fünf Sekunden verballert. Und Jacob hat es nicht mal geschafft, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben. Wie oft hätte ich noch sagen sollen: ›Vergesst nicht, die Waffe zu entsichern?‹«
    Sie wendet sich ab, und ich sehe, dass sie sich auf die Zunge beißt.
    Nach ein paar Minuten sage ich: »Danke, dass ihr mich nicht alleingelassen habt, sondern geblieben seid und mit mir gekämpft habt.«
    »So was machen wir nicht.«
    »Was?«
    »Wir lassen unseresgleichen nicht allein. Das ist nicht unsere Art.«
    »Epap hat …«
    »Das war nur leeres Gerede. Dafür kenne ich ihn gut genug. Wir lassen unseresgleichen nicht im Stich.«
    Ihre Worte gehen mir unter die Haut und nun ist es an mir zu schweigen. Ich denke an Ashley June allein in ihrer Zelle. Und dann höre ich die vorwurfsvolle Stimme des Direktors: Einfach abhauen wie ein verschrecktes Eichhörnchen und sie ganz alleine lassen.
    Ich lasse die Zügel schnalzen, um noch mehr Tempo herauszukitzeln. Das Pferd prescht schnaubend weiter, mittlerweile am ganzen Körper glänzend vor Schweiß.
    Ein Schrei zerreißt den Himmel. Zu laut, zu nah, zu schnell.
    Und dann spüre ich es. Regentropfen auf meinen Wangen. Ich blicke entsetzt nach oben. Dunkle Wolken, schwärzer als die Nacht, wulstig und geschwollen. Der Regen wird den Boden aufweichen; für das Pferd wird er sich anfühlen wie Klebstoff.
    Sissy merkt es auch. Sie sieht mich an, sucht meinen Blick, als wollte sie fragen: Hast du die Tropfen auch gespürt? Hast du die Tropfen auch gespürt? Mein Schweigen ist Antwort genug. Sie beißt sich auf die Unterlippe.
    Während die Kutsche in voller Fahrt weiter rumpelnd und klappernd dahinsaust, steigt Sissy auf den Kutschbock. Ihre Kleider flattern im Wind. Nun fängt es richtig an zu regnen, Tropfen fallen wie winzige Sterne auf ihre nackten Arme, ihren Hals, ihr Gesicht und ihre Beine.
    »Da!«, ruft sie und weist mit ausgestrecktem, muskulösem Arm nach vorn wie eine Bronzestatue. »Ich sehe ihn, Gene! Ich sehe ihn. Den Fluss! Den verdammten Fluss!«
    »Was ist mit dem Boot? Siehst du das Boot?«
    »Nein«, ruft sie und klettert wieder herunter, »aber es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
    Hinter uns wird das Getrampel, Knurren und Zischen lauter. So viel näher! Ich werfe einen verstohlenen Blick zurück, aber man sieht jetzt nichts mehr als dichtes Dunkel. Nur eine Frage der Zeit. Sissy hat Recht. So oder so ist es jetzt nur noch eine Frage der Zeit.
    Der Fluss ist ein Wunder. Selbst über das Klappern der Kutsche und das Geschrei der jagenden Meute hinweg hören wir ihn schon von Weitem, ein leises Gurgeln, tief und klangvoll. Als wir ihn einige Minuten später erreichen, sind wir zunächst überrascht, wie breit er ist. Mindestens zweihundert Meter trennen die beiden Ufer. Doch selbst unter den schweren dunklen Wolken am Himmel funkelt er so stark, dass ich es zuerst für Glühwürmchen halte, und fließt wie sanft wogende, glatte Panzerplatten ruhig dahin.
    Das Pferd ist deutlich langsamer geworden. Seine Schritte werden kürzer, sein Atem geht schwerer. Ein paarmal kommt es dem Ufer gefährlich nahe, bevor es im letzten Moment einen Schwenk macht. Ich habe es zu sehr angetrieben. Es trottet immer langsamer und bleibt schließlich stehen. Ich reiße an den Zügeln, obwohl ich schon weiß, dass es nutzlos ist. Das Pferd braucht eine Pause.
    »Warum bleiben wir stehen?«, ruft Epap aus der Kutsche. Als niemand antwortet, springt er heraus. »Was ist los? Einen Halt können wir uns nicht leisten.«
    »Weiterfahren auch nicht«, sage ich. »Dieses Pferd ist kurz davor, tot
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