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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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nicht.
    »Gut«, nickte Aidan. »War im Restaurant viel Betrieb?« wandte er sich dann an Nell.
    »War ganz in Ordnung für einen Montagabend, nichts Aufregendes«, antwortete sie freundlich. Aber es klang, als redete sie mit einem Fremden im Bus.
    Aidan nahm seine Aktentasche und machte sich auf den Weg zur Schule. Zum Mountainview College, mit dem er verheiratet war … was für ein absurder Gedanke! An diesem Morgen hätte ihm die Schule gestohlen bleiben können.
    Einen Moment lang blieb er am Tor des Schulhofs stehen. Hier hatte der unwürdige, brutale Kampf zwischen Tony O’Brien und diesem Jungen stattgefunden; danach hatte der Junge mehrere gebrochene Rippen gehabt, und die Platzwunden über dem Auge und an der Unterlippe hatten genäht werden müssen. Es war schmutzig im Hof, der Morgenwind wirbelte Unrat auf. Der Fahrradschuppen mußte gestrichen werden, die Räder waren nicht ordentlich abgestellt. Und die Bushaltestelle vor dem Tor war offen und ungeschützt. Wenn die Busgesellschaft nicht ein richtiges Wartehäuschen für die Kinder aufstellte, würde sich die Schulbehörde darum kümmern. Und wenn diese sich weigerte, würde eine Elterninitiative Spenden dafür sammeln. Derlei Dinge hatte sich Aidan Dunne vorgenommen, wenn er Direktor war. Aber jetzt würden sie nie mehr in die Tat umgesetzt werden.
    Den Kindern, die ihn grüßten, nickte er mürrisch zu, anstatt sie wie sonst namentlich anzusprechen. Als er ins Lehrerzimmer kam, traf er dort lediglich Tony O’Brien an, der gerade eine Kopfschmerztablette in einem Glas Wasser auflöste.
    »Ich werde allmählich zu alt für diese langen Nächte«, vertraute er Aidan an.
    Aidan hätte ihn am liebsten gefragt, warum er sich dann darauf einließ, doch das wäre unklug gewesen. Er durfte keinen unbedachten Schritt machen, ja am besten unternahm er gar nichts, bis er sich einen Plan zurechtgelegt hatte. Also mußte er weiterhin den höflichen, wohlwollenden Kollegen spielen.
    »Immer nur Arbeit ist doch auch nichts …«, fing er an.
    Doch Tony O’Brien wollte keine Platitüden hören. »Ich finde, mit fünfundvierzig hat man eine Art Schallgrenze erreicht. Es ist immerhin die Hälfte von neunzig, das sagt alles. Auch wenn es nicht unbedingt jeder hören will.« Er leerte das Glas und leckte sich die Lippen.
    »Hat es sich wenigstens gelohnt, ich meine, so lange aufzubleiben?«
    »Wer weiß schon, ob es sich je lohnt, Aidan? Ich habe ein nettes junges Mädchen kennengelernt, aber was hat man schon davon, wenn man danach vor seiner Mittelstufenklasse stehen muß?« Tony O’Brien schüttelte sich wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser kommt. Und dieser Kerl würde die nächsten zwanzig Jahre das Mountainview College leiten, während der arme alte Mr. Dunne hilflos dasitzen und es mit ansehen mußte. Tony O’Brien gab ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter. »Wie auch immer,
ave atque vale
, wie ihr Lateiner sagt. Ich muß los, es sind nur noch vier Stunden und drei Minuten, ehe ich mir ein heilsames Bierchen genehmigen kann.«
    Daß Tony O’Brien die lateinische Redewendung für »Hallo und auf Wiedersehen« kannte, hätte Aidan nicht gedacht. Er selbst benutzte nie lateinische Ausdrücke im Lehrerzimmer, denn er wußte, daß viele seiner Kollegen diese Sprache nicht beherrschten, und wollte nicht als Angeber gelten. Aber das bewies nur, daß man seinen Feind nicht unterschätzen durfte.
    Der Tag verging wie jeder andere, egal, ob man einen Kater hatte wie Tony O’Brien oder sich grämte wie Aidan Dunne, dann verging der nächste Tag und der übernächste. Noch immer hatte Aidan sich nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt. Er fand nie den geeigneten Moment, um zu Hause kundzutun, daß sich seine Hoffnungen auf den Posten des Direktors zerschlagen hatten. Tatsächlich hielt er es sogar für das Beste, gar nichts zu sagen, bis die Entscheidung gefallen war, so daß es aussah, als käme sie für alle überraschend.
    Und den Plan, sich ein eigenes Zimmer einzurichten, hatte er nicht vergessen. Er verkaufte den Eßtisch und die Stühle und erstand den kleinen Sekretär. Während seine Frau in Quentin’s Restaurant arbeitete und seine Töchter ausgingen, saß er da und überlegte sich, wie es aussehen sollte. Stück für Stück trug er zusammen, um seinen Traum zu verwirklichen: Bilderrahmen aus einem Secondhand-Laden, ein großes, billiges Sofa, das genau in die Fensternische paßte, dazu einen niedrigen Tisch. Und demnächst würde er
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