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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
Autoren: Laurence Sterne
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1. Kapitel.
    Ich wollte, mein Vater oder auch meine Mutter, oder eigentlich beide – denn es wäre wirklich Beider Pflicht und Schuldigkeit gewesen – hätten sich ordentlich zu Gemüthe geführt, was sie thun wollten, als sie mich zeugten. Hätten sie sich gehörig vor Augen gestellt, wie viel von dem abhänge, was sie gerade thaten, daß es sich nicht nur um die Erschaffung eines vernünftigen Wesens handle, sondern daß möglicherweise die glückliche Bildung und Beschaffenheit seines Leibes, vielleicht auch sein Geist und das eigenthümliche Gepräge seines Gemüthes und sogar – sie wußten wenigstens das Gegentheil nicht – das Glück seines ganzen Hauses von den Launen und Stimmungen beeinflußt werden konnten, die in dem Momente gerade die maßgebenden waren, hätten sie das Alles gehörig erwogen und überlegt und demgemäß auch gehandelt, so bin ich lebhaft überzeugt, daß ich eine ganz andere Figur in der Welt gespielt haben würde, als diejenige ist, in welcher mich der geneigte Leser vermuthlich erblicken wird. Ja ihr lieben Leute, glaubt mir nur, diese Sache ist nicht so unerheblich, als Manche von euch glauben mögen. Ihr habt wol alle davon gehört, wie die thierischen Regungen vom Vater auf den Sohn übertragen werden u. s. w. und noch vieles Andere in dieser Richtung. Nun gut, ich kann euch mein Wort daraufgeben: neun Zehntel von eines Mannes Vernunft oder Unvernunft, von seinen Erfolgen und Mißerfolgen in dieser Welt hängen von seiner Bewegung und Thätigkeit, von den verschiedenen Spuren und Geleisen, in die man sie bringt, ab, so daß, wenn sie einmal im Gange sind, – gleichviel ob auf gutem oder schlechtem Wege, darum gebe ich keinen Groschen –, sie dahin poltern wie ein Verrückter. Indem sie aber immer wieder denselben Weg treten, machen sie am Ende eine so ebene und glatte Straße daraus wie ein Gartenpfad, und wenn sie einmal daran gewöhnt sind, bringt sie der Teufel selbst oft nicht mehr daraus.
    Höre, Alter, sagte meine Mutter, hast du nicht vergessen die Uhr aufzuziehen? – Ach du meine Güte! rief mein Vater ungeduldig, gab sich jedoch zugleich Mühe, seine Stimme zu mäßigen, – hat seit Erschaffung der Welt eine Frau ihren Mann jemals mit einer so dummen Frage unterbrochen? – Was sagte denn Ihr Herr Vater vorher? – O Nichts.

2. Kapitel.
    Dann kann ich aber auch entschieden nichts an der Frage finden, weder Gutes noch Schlimmes. – Dann erlauben Sie, mein Herr, war es jedenfalls eine sehr unzeitige Frage – weil sie die animalischen Regungen zersplitterte und zerstreute, die den Homunculus hätten begleiten, Hand in Hand mit ihm gehen und ihn sicher an den Ort geleiten sollen, der für seine Aufnahme bestimmt war.
    In welch geringem und lächerlichem Lichte der Homunculus aber auch in dieser oberflächlichen Zeit im Auge der Thorheit oder des Vorurtheils erscheinen mag, so ist er im Auge des vernünftigen, wissenschaftlichen Forschers unzweifelhaft mit gewissen Rechten ausgestattet und umschrieben.
    Die tüftelichsten Philosophen, welche beiläufig gesagt, den weitesten Verstand haben, da ihre Seele im umgekehrten Verhältniß zu ihren Forschungen steht, haben uns unwiderleglich dargethan, daß der Homunculus durch die gleiche Hand geschaffen, auf demselben Wege der Natur gezeugt, mit denselben Bewegungskräften und Fähigkeiten ausgestattet ist wie wir; daß er wie wir aus Haut, Haar, Fett, Fleisch, Adern, Sehnen, Nerven, Knorpeln, Knochen, Mark, Gehirn, Drüsen, Zeugungstheilen, Säften und Gelenken besteht; daß es ein Wesen von gleicher Thätigkeit und in jedweder Bedeutung des Worts eben so gut und so wahrhaftig unser Mitgeschöpf ist wie der Lordkanzler von England. Man kann ihm wohlthun, ihn verletzen und ihm wieder Genugthuung gewähren; mit einem Wort, er besitzt all die menschlichen Ansprüche und Rechte, welche Tullins, Puffendorf oder die besten ethischen Schriftsteller aus diesem Zustand und Verwandtschaftsverhältniß herleiten.
    Nun bitte ich Sie, mein lieber Herr, wenn ihm auf seinem einsamen Wege irgend ein Unfall zugestoßen wäre! oder wenn der kleine Herr durch den bei einem so jungen Reisenden natürlichen Schreck, ganz mitgenommen und ruinirt am Ende seiner Wanderung angekommen wäre, wenn seine Muskelstärke, seines Manneskraft dabei fadendumm geworden, seine eigenen animalischen Regungen über alle Beschreibung erschüttert, und er in diesem traurigen, zerrütteten Nervenzustand für lange, lange neun Monate niedergelegt worden wäre,
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