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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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er nur: »Ich wünsche dir einen schönen Abend.«
    Dann ging er zurück ins Wohnzimmer und setzte sich vor den Fernseher.
    »Was willst du dir anschauen?« wandte er sich an Brigid.
    »Worauf hättest du denn Lust, Daddy?« fragte sie zurück.
    Anscheinend hatte ihn dieser Schlag tiefer getroffen, als er gedacht hatte; die nackte Enttäuschung und der Kummer über diese Ungerechtigkeit standen ihm zweifellos ins Gesicht geschrieben, wenn jede seiner beiden Töchter …
    Er musterte sein jüngeres Kind, das sommersprossige Gesicht mit den großen braunen Augen, das ihm so lieb und vertraut war, seit er sie als Baby im Kinderwagen geschoben hatte. Normalerweise verhielt sie sich ihm gegenüber immer etwas gereizt, doch an diesem Abend sah sie ihn an wie einen Patienten, der auf einer Bahre in einem Krankenhausflur liegt – mit jenem kurzzeitig aufflackernden Mitgefühl, das man für einen fremden Menschen empfindet, dem es gerade sehr schlecht geht.
    Bis halb zwölf Uhr saßen sie beieinander und sahen sich Sendungen an, die keinem von ihnen gefielen. Doch beide taten es mit froher Miene, weil sie glaubten, dem anderen einen Gefallen zu tun.
    Als Nell um ein Uhr heimkam, lag Aidan im Bett. Das Licht war ausgeschaltet, aber er war wach und hörte, wie draußen das Taxi vorfuhr. Wenn Nell Spätschicht hatte, bezahlte ihr der Chef das Taxi nach Hause.
    Leise betrat sie das Zimmer. Aidan roch Zahnpasta und Talkumpuder. Also hatte Nell sich im Badezimmer gewaschen, anstatt das Waschbecken im Schlafzimmer zu benutzen, was ihn hätte stören können. Das Licht ihrer Nachttischlampe leuchtete auf das Buch hinab, das sie gerade las, und blendete ihn nicht, wenn er, wie so oft, wach lag und auf das Rascheln beim Umblättern hörte. Keine Unterhaltung zwischen ihnen konnte je so interessant sein wie die Taschenbücher, die Nell und ihre Freundinnen und Schwestern verschlangen. So blieb Aidan auch heute stumm.
    Selbst in dieser Nacht, da ihm das Herz schwer wie Blei war und er seine Frau in die Arme nehmen wollte, da er sich an ihrer weichen, frisch duftenden Haut ausweinen und ihr von Tony O’Brien erzählen wollte. Von Tony O’Brien, der ihm nicht das Wasser reichen konnte und trotzdem zum Direktor befördert werden würde, weil er angeblich mehr »Führungsqualitäten« besaß, was immer damit gemeint sein mochte. Außerdem hätte Aidan seiner Frau gerne gesagt, wie sehr er es bedauerte, daß sie hinter einer Kasse sitzen und reichen Leuten zuschauen mußte, wie sie aßen, sich betranken und anschließend die Rechnung bezahlten … weil das immer noch interessanter war als alles andere, was ein Ehepaar mit zwei erwachsenen Töchtern an einem Montagabend unternehmen könnte. Doch er lag nur da und hörte von ferne den Stundenschlag der Rathausuhr.
    Gegen zwei Uhr legte Nell mit einem leisen Seufzer ihr Buch auf den Nachttisch. Sie rollte sich auf ihrer Seite des Bettes zusammen und schien so weit entfernt von ihm, als läge sie im Zimmer nebenan. Als die Rathausglocke vier Uhr schlug, wurde Aidan bewußt, daß Grania nur noch drei Stunden Schlaf bekommen würde, ehe sie zur Arbeit mußte.
    Aber darauf hatte er keinen Einfluß. Es war ausgemachte Sache, daß die Mädchen ihr eigenes Leben lebten und ihnen niemand hineinredete. Obwohl Aidan nicht ganz wohl dabei gewesen war, hatte er sich damit einverstanden erklärt, daß die Mädchen die Beratungsstelle für Familienplanung aufsuchten. Sie kamen heim, wann es ihnen paßte, und wenn sie wegblieben, riefen sie um acht Uhr während des Frühstücks an, um zu sagen, daß alles in Ordnung sei und sie bei einer Freundin übernachtet hätten. Das war eine höfliche Floskel, hinter der weiß der Himmel was stecken konnte. Allerdings behauptete Nell, oft sei es auch die reine Wahrheit, und lieber sollten Grania und Brigid bei einer Freundin übernachten, als sich von einem Betrunkenen heimfahren zu lassen oder in den frühen Morgenstunden vergeblich auf ein Taxi zu warten.
    Trotzdem war Aidan erleichtert, als er hörte, wie die Haustür aufgesperrt wurde und flinke Schritte die Treppe heraufhuschten. In ihrem Alter konnte Grania auch einmal mit nur drei Stunden Schlaf auskommen. Und das waren immerhin drei Stunden mehr, als er haben würde.
    Die verrücktesten Pläne gingen ihm durch den Kopf. Er könnte aus Protest beim Mountainview College kündigen. Bestimmt würde er auch an einer Privatschule unterkommen, die mit Intensivkursen speziell auf den Abschluß vorbereitete. Ihn als
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