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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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Art und Weise, wie Entscheidungen zustande kommen. Der Direktor hat keine Stimme. Er sitzt nur da wie ein Statist, darauf läuft es letztlich hinaus.«
    »Keine Stimme?« Aidan glaubte zu wissen, worauf der Direktor hinauswollte, aber er stellte sich dumm.
    Das war die falsche Strategie gewesen, denn der Direktor wurde nun ärgerlich. »Mensch, kommen Sie, Sie wissen doch, wovon ich rede. Von der Stelle, Mann!«
    »Hm, ja.« Aidan kam sich jetzt wie ein Idiot vor.
    »Ich bin ein nicht stimmberechtigtes Mitglied der Schulbehörde. Ich habe nichts zu sagen. Anderenfalls hätten Sie ab September meinen Posten. Vorher würde ich Ihnen zwar noch ein paar Ratschläge geben, wie Sie mit diesen Bengeln in der Mittelstufe besser zurechtkommen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß Sie der geeignete Mann sind, jemand, der bestimmte Werte hochhält und ein Gespür dafür hat, was für eine Schule das Richtige ist und was nicht.«
    »Danke, Mr. Walsh, es freut mich, das zu hören.«
    »Mann, lassen Sie mich erst mal ausreden, bevor Sie so etwas sagen … zur Dankbarkeit besteht nämlich kein Anlaß. Ich kann nichts für Sie tun, Aidan, überhaupt nichts, und das versuche ich Ihnen gerade begreiflich zu machen.« Der ältere Mann setzte eine Miene auf, als wäre Aidan ein begriffsstutziger Erstkläßler, der ihn zur Verzweiflung brachte.
    Diesen Blick kenne ich von Nell, schoß es Aidan durch den Kopf, und dieser Gedanke betrübte ihn. Seit seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr, seit nunmehr sechsundzwanzig Jahren, unterrichtete er anderer Leute Kinder, und dennoch hatte er keine Ahnung, wie er sich gegenüber einem Mann verhalten sollte, der sich sichtlich bemühte, ihm zu helfen. Nun hatte er es lediglich geschafft, ihn zu verärgern.
    Der Direktor musterte ihn eindringlich. Aidan schien es, als hätte Mr. Walsh seine Gedanken erraten. »Na, kommen Sie, reißen Sie sich zusammen. Machen Sie nicht so eine Trauermiene. Vielleicht täusche ich mich ja und sehe das alles ganz falsch. Ich gehe jetzt in Rente, und da wollte ich sozusagen meine Hände in Unschuld waschen, falls die Entscheidung nicht zu Ihren Gunsten ausfällt.« Offensichtlich bedauerte der Direktor jetzt, daß er überhaupt davon angefangen hatte.
    »Aber nein, ich weiß das wirklich zu schätzen, ich meine, es ist sehr nett von Ihnen, mir zu sagen, wo Sie in dieser Angelegenheit stehen … ich meine …« Aidan verstummte.
    »Hören Sie, es wäre doch kein Weltuntergang … wenn Sie nicht genommen werden.«
    »Nein, sicher nicht.«
    »Ich meine, Sie haben doch eine Familie, das macht vieles wett. Für Sie spielt sich das richtige Leben zu Hause ab, Sie sind nicht mit der Schule verheiratet, wie ich es so lange war.« Mr. Walsh war seit vielen Jahren verwitwet, und er hatte nur einen Sohn, der ihn selten besuchte.
    »Da haben Sie vollkommen recht«, pflichtete ihm Aidan bei.
    »Aber?« Der alte Mann wirkte gütig, aufgeschlossen.
    Aidan sprach langsam. »Natürlich wäre es kein Weltuntergang, aber irgendwie habe ich gedacht … ich habe gehofft, es wäre vielleicht noch einmal ein neuer Anfang, es würde auch wieder frischen Wind in mein Privatleben bringen. Die zusätzliche Arbeit würde mich nicht abschrecken, das hat mich noch nie gestört. Ich mache ja jetzt schon jede Menge Überstunden. In gewisser Weise bin ich ein wenig wie Sie … Sie wissen schon, verheiratet mit der Schule.«
    »Ja, ich weiß«, erwiderte Mr. Walsh sanft.
    »Ich habe immer alles gern gemacht. Ich mag meine Klassen, und besonders das Übergangsjahr – da kann man sie dazu bringen, ein bißchen aus sich herauszugehen, man lernt sie besser kennen und kann sie mehr zum Nachdenken anregen. Und ich mag sogar die Elternabende, vor denen allen anderen graut, aber ich kann mir jeden meiner Schüler merken und … Ich denke, daß mir alles an meiner Arbeit gefällt, außer diesen Machtspielchen, diesem Gerangel um Posten.« Abrupt hielt Aidan inne. Er befürchtete, seine Stimme könnte versagen. Und außerdem wurde ihm klar, daß
er
bei diesem Gerangel den kürzeren gezogen hatte.
    Mr. Walsh schwieg.
    Von draußen drangen Geräusche herein, die typischen Geräusche in einer Schule nachmittags um halb fünf. Von ferne hörte man das Gebimmel von Fahrradglocken, Türenschlagen, schreiende Kinder, die zu den verschiedenen Bussen liefen. Bald würden die Putzfrauen mit ihren Eimern und Mops zugange sein, und man würde das Brummen der Poliermaschine hören. Es waren vertraute Geräusche, die
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