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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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wanderte er ruhelos von der Küche, wo sich jeder sein eigenes Essen in der Mikrowelle zubereitete, ins Wohnzimmer, wo irgendeine Fernsehsendung lief, die ihn nicht interessierte, und zum Schlafzimmer, das ihn so schmerzlich daran erinnerte, wie lange er nicht mehr mit seiner Frau intim gewesen war.
    Es gab natürlich noch das Eßzimmer – den Raum mit den schweren, dunklen Möbeln, der kaum je benutzt worden war, seit sie das Haus gekauft hatten. Selbst wenn sie Lust gehabt hätten, öfters Gäste einzuladen, wäre das Zimmer zu klein und zu eng dafür gewesen. In letzter Zeit hatte Nell ein- oder zweimal beiläufig erwähnt, Aidan solle sich hier doch ein Arbeitszimmer einrichten. Aber er hatte sich geweigert. Wenn er dieses Zimmer in ein Büro umwandelte, wie er bereits eines in der Schule hatte, würde er am Ende vielleicht seine Stellung als Familienvorstand verlieren, als Vater, als Ernährer … und als derjenige, dem dies einst mehr als alles andere auf der Welt bedeutet hatte.
    Und wenn er sich hier allzu häuslich einrichtete, würde man ihm womöglich als nächstes antragen, in diesem Zimmer auch noch zu schlafen. Im Erdgeschoß gab es ja ebenfalls eine Toilette. Man konnte es durchaus so einrichten, daß die drei Frauen das obere Stockwerk für sich allein hatten.
    Aber das durfte er niemals zulassen. Er mußte darum kämpfen, seine Stellung in der Familie zu behaupten, wie er auch darum kämpfen mußte, sich bei der Schulbehörde in Erinnerung zu bringen, bei den Leuten, die den nächsten Direktor des Mountainview College bestimmen würden.
    Seine Mutter hatte nie verstanden, warum die Schule nicht nach einem Heiligen benannt war, wie es sonst bei Schulen üblich sei. Es war schwer, ihr klarzumachen, daß die Zeiten und die Verhältnisse sich geändert hatten. Aber immerhin, versicherte er ihr ein ums andere Mal, gehörten der Schulbehörde sowohl ein Priester wie auch eine Nonne an. Zwar träfen sie nicht sämtliche Entscheidungen, doch sie kümmerten sich um den religiösen Aspekt, der im irischen Erziehungswesen schon immer eine wichtige Rolle gespielt habe.
    Naserümpfend hatte Aidans Mutter erwidert, nun sei es also so weit gekommen, daß Priester und Nonnen froh sein mußten, wenn sie der Schulleitung angehören durften, anstatt die Geschicke der Schule selbst nach dem göttlichen Willen zu lenken. Vergeblich hielt ihr Aidan entgegen, es fehle eben an Geistlichen; sogar in den sogenannten konfessionellen Oberschulen unterrichteten in den neunziger Jahren kaum noch Geistliche. Es gebe einfach zu wenige.
    Bei einer dieser Diskussionen mit seiner Mutter war Nell dabeigewesen und hatte ihm danach geraten, sich seine Worte künftig zu sparen. »Sag ihr einfach, daß die Schule noch immer von den Kirchenleuten geleitet wird, Aidan. Damit machst du es ihr und dir selbst leichter. Und in gewisser Weise stimmt es ja auch. Sie machen den Leuten auch heute noch angst.« Diese Bemerkung aus Nells Mund hatte Aidan sehr geärgert. Es gab keinen Grund, warum Nell die Macht der katholischen Kirche fürchten müßte. Sie hatte die Messe besucht, solange es ihr gefallen hatte; zur Beichte ging sie schon lange nicht mehr, und die päpstlichen Verdikte gegen Empfängnisverhütung hatte sie seit jeher ignoriert. Warum tat sie nur so, als sei der katholische Glaube eine schwere Last für sie gewesen? Doch er wollte deshalb keinen Streit vom Zaun brechen. Wie so oft nahm er es gelassen hin. Nell hatte keine Zeit für seine Mutter; nicht, daß sie etwas gegen sie gehabt hätte, aber sie fand die alte Frau völlig uninteressant.
    Von Zeit zu Zeit fragte seine Mutter, wann sie sie denn einmal zu sich zum Essen einladen würden. Darauf antwortete Aidan immer, im Moment gehe alles ein bißchen drunter und drüber, aber sobald es wieder ruhiger geworden sei …
    Das sagte er jetzt seit über zwanzig Jahren, und inzwischen war es nur mehr eine ziemlich faule Ausrede. Aber Nell die Schuld dafür zu geben war nicht fair. Schließlich lud sie ihre eigene Mutter ja auch nicht ständig ein. Selbstverständlich erhielt Aidans Mutter immer eine Einladung, wenn sie in einem Hotelrestaurant etwas zu feiern hatten. Trotzdem war das etwas anderes. Und einen Anlaß zum Feiern hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Abgesehen natürlich von seinen Aussichten auf den Posten des Direktors.
     
    »Wie war Ihr Wochenende?« erkundigte sich Tony O’Brien im Lehrerzimmer.
    Erstaunt sah Aidan ihn an. Das hatte ihn schon lange niemand mehr
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