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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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Anteil zu nehmen.
    Doch wenn Nell von dem Restaurant, wo sie als Kassiererin arbeitete, nach Hause kam, hatte sie nie etwas zu erzählen oder ein Problem zu besprechen. »Ach, Aidan, meine Güte, es ist, wie es in der Arbeit eben so ist. Ich sitze da, nehme Kredit- oder Scheckkarten oder Bargeld entgegen und gebe den Kunden das Wechselgeld und die Quittung. Danach fahre ich heim, und am Ende der Woche kriege ich meinen Lohn. So läuft das bei neunzig Prozent aller Berufstätigen ab. Bei uns gibt es keine Auseinandersetzungen, keine Dramen oder Machtkämpfe; wir sind einfach nur ganz normale Menschen.«
    Mit diesen Worten hatte sie ihn nicht verletzen oder demütigen wollen, aber trotzdem waren sie für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Denn das hieß ja wohl, daß
er
endlos über die Debatten und Konflikte im Lehrerzimmer schwadroniert haben mußte. Und die Zeiten, als Nell gespannt lauschte, was er Neues zu berichten hatte, ihn stets anspornte, ihm den Rücken stärkte und versicherte, daß seine Feinde auch die ihren seien – diese Zeiten waren offenbar schon lange vorbei. Sehnsüchtig dachte Aidan an die Kameradschaft, die Solidarität und den Gemeinschaftsgeist jener Jahre zurück.
    Vielleicht kehrten sie wieder, wenn er zum Direktor der Schule befördert wurde.
    Oder machte er sich damit nur falsche Hoffnungen? Möglicherweise interessierte seine Frau und seine beiden Töchter auch das nicht sonderlich. Zu Hause lief alles wie automatisch. Neulich hatte er dieses merkwürdige Gefühl gehabt, als wäre er schon vor einer ganzen Weile gestorben, und sie kämen alle wunderbar ohne ihn zurecht. Nell ging tagtäglich zur Arbeit ins Restaurant. Einmal pro Woche besuchte sie ihre Mutter; nein, Aidan brauche nicht mitzukommen, hatte Nell gesagt, es sei nur ein kleiner Familienplausch. Ihre Mutter wolle eben in regelmäßigen Abständen ihre Angehörigen um sich scharen, um zu erfahren, ob es ihnen gutgehe.
    »Und geht es dir gut?« hatte Aidan besorgt gefragt.
    »Du unterrichtest hier nicht Amateurphilosophie in der Mittelstufe«, hatte Nell entgegnet. »Mir geht es nicht schlechter als den meisten anderen Leuten, würde ich sagen. Können wir es nicht dabei belassen?«
    Aber das konnte Aidan natürlich nicht. Er korrigierte sie, es heiße nicht »Amateurphilosophie«, sondern »Einführung in die Philosophie«, und werde auch nicht in der Mittelstufe, sondern im Übergangsjahr gelehrt. Den Blick, den ihm Nell daraufhin zugeworfen hatte, würde er sein Lebtag nicht vergessen. Sie hatte zu einer Erwiderung angesetzt, dann aber doch geschwiegen, und auf ihrem Gesicht lag so etwas wie distanziertes Bedauern. Sie schaute ihn an wie einen armseligen Landstreicher, der auf der Straße saß, der Mantel notdürftig mit einem Strick zusammengehalten, und den letzten Schluck Wein aus seiner Flasche austrank.
    Mit seinen Töchtern erging es ihm nicht besser.
    Grania arbeitete in einer Bank, erzählte aber nicht viel davon – zumindest nicht ihrem Vater. Manchmal bekam er zufällig mit, wie sie mit ihren Freunden darüber sprach, und dann klang sie viel lebhafter. Und mit Brigid war es dasselbe. Das Reisebüro ist ganz in Ordnung, Dad, zieh doch nicht dauernd darüber her. Wirklich, es ist ein prima Laden, ich bekomme zwei kostenlose Urlaubsreisen im Jahr, und wir haben lange Mittagspausen, weil wir nach einem Turnusplan arbeiten.
    Grania hatte auch keine Lust auf eine Diskussion über das Bankensystem an sich oder ob es nicht unfair sei, den Kunden Kredite aufzuschwatzen, die sie nur mit Mühe zurückzahlen konnten. Sie habe die Regeln nicht gemacht, erklärte sie ihm, auf ihrem Schreibtisch stehe ein Ablagekorb mit den Eingängen, und die habe sie täglich zu bearbeiten. Weiter nichts, ganz einfach. Brigid wiederum hatte keine Meinung zu der Frage, ob die Touristikbranche nicht Wunschträume verkaufe, die sie gar nicht erfüllen könne. »Dad, niemand wird gezwungen, in Urlaub zu fahren. Wer es nicht will, kann es ja seinlassen.«
    Aidan wünschte sich, er hätte besser aufgepaßt. Wann hatte es begonnen … dieses Sichauseinanderleben? Er konnte sich noch daran erinnern, wie die Mädchen sauber und frisch gebadet in ihren rosa Nachthemdchen dagesessen hatten, während er ihnen Geschichten erzählte und Nell mit glücklichem Lächeln zusah. Das war Jahre her. Aber auch danach hatte es noch schöne Zeiten gegeben. Zum Beispiel, als die Kinder für die Abschlußprüfungen gelernt und Aidan ihnen Arbeitsblätter erstellt hatte,
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