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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers
Autoren: Tad Williams
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Morgensonne, du und die übrigen. Du kehrtest mit Prospero nach Mailand zurück, bis die Vorbereitungen für deine Vermählung mit dem Prinzen abgeschlossen waren. Dann folgtest du deinem neuen Herrn und Meister auf seinen Familiensitz in Neapel, wo König Alonso zusehends alt und gebrechlich wurde. Das weißt du natürlich bereits, aber ich mußte es erst nach und nach in Gesprächen herausfinden, stückweise. Vieles erfuhr ich von alten Seeleuten und anderen, die einem Trinkgesellen seine Häßlichkeit nicht übelnehmen, solange der Häßliche den Wein bezahlt… oder ihn stiehlt, je nachdem.
    Was du nicht weißt und was du dich nie gefragt hast, ist, was ich in diesen Jahren tat…
    Mein Herz war in mir zerbrochen wie ein heruntergefallenes Ei, und ich konnte zunächst keinen klaren Gedanken fassen. Ich aß das Notwendigste, ich ging am leeren Strand auf und ab, ich sang den tauben Himmel an. Doch als aus den Monaten ein Jahr wurde und aus dem einen Jahr viele Jahre, begann die Stille mich zu ersticken.
    Du findest es vielleicht verfehlt, die Insel mit ihrem schrillen Affengeschnatter und Vogelgekreische, dem Brausen von Wind und Wetter und dem unablässigen Rumoren des Meeres als einen stillen Ort zu bezeichnen. Doch ich hatte mich an den Klang menschlicher Rede gewöhnt, Miranda. Keine Stille ist so furchterregend wie jene, die entsteht, wenn die eigene Stimme auf einmal verstummt und niemand da ist, der sie vermißt.
    Zwanzig Jahre, Miranda. Zwanzig unsäglich lange Jahre. Es gab Zeiten, das schwöre ich, da sehnte ich mich sogar danach, Ariels gräßliches Schnarren wieder zu hören, nur zum Beweis, daß ich nicht alles geträumt hatte… nur zur Unterbrechung der Stille. Dein Vater meinte, er habe mir die Freiheit geschenkt. Bei allen Geistern! Selbst wenn er das Recht gehabt hätte, sie mir jemals zu nehmen, vertauschte er lediglich meine Sklaverei mit einer noch viel schlimmeren Züchtigung.
     



 
    Ihr beide nahmt mir die Unschuld. Ihr stahlt mir meine Insel, doch nicht allein in ihrer stofflichen Gestalt. Mit euern Worten, euern Namen, euern Ideen, ja eurer bloßen Gegenwart nahmt ihr den Ort, den ich mein Leben lang gekannt hatte, und setztet ihn irgendwo anders hin, wo er mir unerreichbar war. In den zwei Jahrzehnten elender, einsamer Verbannung nach eurer Abfahrt wurde die Insel nie wieder die Heimat für mich, die sie vorher gewesen war. Alles hatte jetzt einen Namen, und jeder Name war das Machwerk von Prospero und Miranda. An jedem Ort hatten wir gemeinsam etwas erlebt und spukte jetzt ein Geist von dir oder deinem Vater herum. Selbst die Erinnerung, die ich an die Heimat meiner Kindheit hatte, war unwiderruflich verändert. Ihr habt sie mir gestohlen – und dafür seid hundertmal verflucht! Ihr habt mir das einzige genommen, was ich besaß, meine Insel, mein Herz, mein Leben, und seid wieder fortgesegelt.
    Und als grausamste Tat von allen infiziertet ihr mich mit der Sprache und überließt mich dann schnöde dem Schicksal, mein Leben in leerer, einsamer Stille zu verbringen.
    Als eines Tages endlich ein Schiff vor der Küste ankerte und Männer an Land ruderten, um sich mit Früchten, Fleisch und frischem Wasser zu versorgen, wundert es dich da, daß ich bei Nacht hinausschwamm und an Bord kletterte? Es war nicht leicht, mich die ganze lange Seereise über zu verstecken, aber ich verstehe mich außerordentlich gut auf Heimlichkeit, wenn ich will. Nach zwanzig Jahren hatte ich nur noch einen Gedanken: Rache.
    Wundert es dich, daß ich mich mit dem festen Vorsatz nach Mailand aufmachte, deinen Vater zu finden und ihn mit diesen Händen umzubringen? Meine Suche war nicht einfach, Miranda, denn ich wußte nicht viel von eurer Welt, als das Schiff mich an eure Küsten brachte, und weiß mittlerweile nur wenig mehr, aber es brennt ein Feuer in mir, das nicht zu löschen ist. Doch bei allem, was ich unternahm, tat ich niemandem etwas zuleide, sofern er nicht mir etwas zuleide tun wollte, und tötete niemanden. Wie hätte ich nach all meinen Leiden andere Unschuldige nach dem Vorbild des Seemanns behandeln können, den dein Vater ertrinken und dann am Strand liegen ließ?
    Auf der Suche erst nach deinem Vater, dann nach dir lernte ich diese Welt gut genug kennen, um zu wissen, daß ich nichts damit zu tun haben will. Die Bilder in den Büchern deines Vaters haben gelogen. Sie ist nicht schön und wundersam; sie ist abgrundtief schlecht. Sie ist tödlich, wenigstens für mich. Bücher lügen. Die
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