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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers
Autoren: Tad Williams
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der Griff. Er hob den Blick und sah die Augen in dem düsteren Gesicht im Fackelschein schimmern und glühen wie von einem inneren Feuer. Mit schiefgelegtem Kopf lauschend starrte der Unhold ihn an.
    »Dort.« Sebastiano deutete mit dem Kopf auf einen massigen Schatten in der Stadtsilhouette, einen dunklen Kasten mit spitzen Türmen. »Das weiß doch jeder«, blubberte er. »Jeder! Dort. Im Schloß!«
    Der Schemen ließ eine Hand des Matrosen los und streckte einen knorrigen Finger zum Castel Nuovo aus.
    »Ja!« ächzte Sebastiano, der die Fingerabdrücke des anderen immer noch im Fleisch fühlte. Er neigte matt den Kopf. »Dort. Dort.«
    Im nächsten Moment war er allein. So heftig zitternd, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte, lehnte er sich an die kalte Steinmauer und weinte. Die Fackeln rings um die Piazza flackerten immer noch. Die schattigen Winkel waren leer und verlassen.
     
     
    Als die Tavernentür aufschwang, grölten seine Schiffskameraden los.
    »He, ich dachte, du wärst mit dem ollen Großkotz rüber zu Cuvo gegangen«, brüllte einer. »Oder hast du dich verlaufen?«
    Sebastiano taumelte zum Feuer und ließ sich dort auf eine Bank fallen. Wie gebannt glotzte er die bläulichen Fingerspuren auf seinen sonnenverbrannten Armen an. Sein entsetzter Gesichtsausdruck ließ in dem überfüllten Raum schließlich eine gewisse Stille einkehren.
    Er wandte den Blick von seinen blauen Flecken ab und starrte in die Flammen, als ob er allein in der Taverne wäre. Am heißen Feuer trockneten die Tränen auf seinen Backen rasch.
    »Ich hab heut nacht den Teufel gesehen«, krächzte er. »Der Himmel sei mir gnädig. Er hat gelbe Augen… und er stinkt nach Fisch.«

Das Schloß
     
     
     
    In den Spalten zwischen den Steinen des großen Schloßtores barg sich die Nacht.
    Zwei Wächter unterhielten sich leise, die Piken gesenkt und die Mäntel gegen die Kälte fest um sich geschlungen. Als sie sich schließlich vor dem frostiger werdenden Wind in den Torweg verzogen, löste sich ein Schatten von der Dunkelheit wie ein abgerissenes Stück von einem schweren schwarzen Samtvorhang und kletterte im Winkel zwischen Turm und Tor flink nach oben. Nach wenigen Herzschlägen war er schon hoch über den frierenden Wächtern und krabbelte an der Front des Torbogens hinauf wie eine Spinne.
    Dunkle Finger krallten sich in die stummen Köpfe der Statuen. Mit mächtig arbeitenden Muskeln zog sich die Gestalt empor, wobei sie die kleinsten Erhebungen der Reliefs als Handgriffe und Trittflächen ausnutzte und die ehrwürdigen Steingesichter von Heiligen und Fürsten begrapschte. Endlich war der Bogen erklommen, und mit wehendem Mantel richtete der Kletterer sich auf, vom Mondlicht schwach versilbert.
    Während er regungslos dort stand und auf die innere Feste des Castel Nuovo hinabblickte, erinnerte er in seiner Haltung, in den gebeugten Schultern und der Krümmung der langen, mächtigen Arme, ein wenig an einen Affen. Und animalisch wirkte auch die Art, wie er sich vorbeugte, starr und gespannt wie ein jagendes Raubtier, das die Beute wittert.
    Die oberen Fenster der Feste schimmerten wie Augen, doch es waren blinde Augen. Niemand schlug Alarm, als die Schattengestalt in die Hocke ging und mit dem Abstieg in den Innenhof begann.

Eine häusliche Szene
     
     
     
    Giulietta, ich will nichts mehr davon hören! Es ist der Wunsch deines Vaters. Ich kann nichts dagegen tun.«
    Sie war zum Schlafen mit einem Nachtgewand aus kathayischer Seide bekleidet, doch nichts an ihrer Haltung sprach von Schläfrigkeit. Ihr feinknochiges Gesicht war angespannt und voller Sorgenfalten, und ihre dünnen Finger hielten die Decken umklammert.
    Neben ihrem Bett ging ein Mädchen auf und ab, fast schon eine Frau, und die wallende Mähne ihrer zur Nacht gelösten dunklen Haare wippte wie der Schweif eines unruhigen Pferdes.
    »Ich bin das vorletzte Kind, Mutter.« Die Stimme des Mädchens hätte lieblich geklungen, wenn da nicht ein erbitterter, selbstmitleidiger Ton gewesen wäre. »Ihr habt doch schon zwei Töchter verheiratet, und Neapel hat einen Thronfolger. Wieso soll auch mein Leben sich der Staatsräson unterwerfen?«
    »Er ist ein tüchtiger junger Mann und sieht nicht schlecht aus. O barmherziger Gott, wie mir der Kopf weh tut! Bitte, Giulietta, dein Vater hat sich das sehr genau überlegt…«
    »Mein Vater hat sich sehr genau überlegt, was ihm zu Nutz und Frommen ist, nicht mir! Was geht mich dieser Ursino oder seine Familie
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