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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers
Autoren: Tad Williams
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vor und kräuselte die Lippen. »Wenigstens als Albtraum.«
    Miranda schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber was… warum bist du… nach all den Jahren…?«
    »Warum ich hergekommen bin?« Er feixte. »Na, um dich zu töten natürlich.« Er breitete seine großen Arme aus, als wollte er ihrem Entsetzen applaudieren. »Nur zu! Schrei, bis die Dachbalken beben! Das wird lediglich dein Ende beschleunigen. Wenn du aber das Leben liebst und ungern daraus scheidest, dann rate ich dir, dich stillzuhalten und die kurze Zeit, die dir noch bleibt, voll auszukosten.«
    Miranda ließ den angehaltenen Atem entweichen; es fiel ihr schwer, erneut Luft zu bekommen. »Du willst mich umbringen?«
    Er setzte sich in die Hocke. »Nicht einfach so, kleine Königin, nicht sofort. Ich hätte dich im Schlaf ermorden können, wenn es mein Wunsch gewesen wäre. Ich hätte dich so mühelos auslöschen können, wie du diesen Wachsstock gelöscht hast.« Er griff sich die auf dem Nachttisch stehende Kerze und wich zum Kamin zurück, wo er den Docht in die Glut hielt, bis er Feuer fing. Als er damit zurückkam, ließ der Schein seine starken Augenbrauenwülste noch schärfer hervortreten. »Einmal zudrücken, und es ist Nacht«, sagte er, als er die Kerze wieder hinstellte. »Doch das wäre zu rasch, damit wäre mir nicht gedient. Ich habe große Anstrengungen unternommen, um hierherzukommen, Miranda, heroische Anstrengungen, möchte ich fast behaupten. Ich bin in feuchten, nach Fisch stinkenden und von Ratten wimmelnden Schiffsbäuchen gefahren, ich bin meilenweit durch kaltes, von Haien durchzogenes Wasser geschwommen, ich habe den Schwertern der Städter getrotzt. Ja, ›heroisch‹ scheint mir in der Tat das rechte Wort zu sein… sofern es einen so häßlichen und boshaften Heros geben kann wie mich. Wir müssen nämlich vorsichtig mit unseren Worten sein – sie sind sehr wichtig. Letztlich haben sie mich hergeführt.«
    »Worte?« Miranda setzte sich etwas gerader hin. »Das verstehe ich nicht.«
    »Nein? Ich… habe… Worte… für dich. Neuigkeiten.« Er trat einen Schritt vor und packte ihr Handgelenk. »Dein Vater ist tot.«
    Sie wand sich unter seinem schmerzhaften Griff. »Fünf Jahre schon. Das ist nichts Neues.«
    »Mir war es neu.« Er fletschte wütend die Zähne. »Zwei Jahrzehnte lang irrte ich elend und ausgestoßen über meine verlassene Insel. Zwanzig schwarze Jahre, und mein einziger Gedanke war, daß ich eines Tages deinen Vater aufspüren und ihm heimzahlen würde, was ich ihm schuldig war. Schließlich gelang es mir, von dort zu fliehen – es war nicht leicht, Miranda! – und mich nach Mailand durchzuschlagen. Aber er ist tot! Prospero ist tot! Wer hätte je gedacht, daß mein eisenharter Peiniger einmal altern und sterben würde wie ein gewöhnlicher Mensch? Die ganze Gewalt meines bitteren Hasses kann ihn nicht wieder lebendig machen. Er hat mich betrogen.« Sein Griff wurde wieder fester. »Das wird dir nicht gelingen.«
    »Dich betrogen? Um Rache?«
    »Ja. O ja. Ich bin der Gelegenheit beraubt worden, ihm die Worte, die er mir einst gab, ins Gesicht zurückzuschleudern. Betrogen um eine Stunde, in der ich ihn zwingen konnte, sich meine Klagen anzuhören, jede einzelne. Das ist der letzte, endgültige Verrat. Möge seine Seele im Feuer der Hölle schmoren, falls es wirklich so etwas wie eine Hölle gibt. Von allen Dingen, die er mich gelehrt hat, ist sie das einzige, wovon ich hoffe, daß es sich nicht als Lüge herausstellt wie so vieles andere. Möge seine Seele brennen!«
    Miranda machte das Kreuzeszeichen. Kaliban lachte.
    »Du solltest an deine eigene Seele denken, schöne Miranda.«
    »Du wirst mich also töten.«
    »Du wirkst nicht übermäßig ängstlich. Ist dein jetziges Leben derart trostlos?« Er kniff die Augen zusammen, grinste. »Aha, ich sehe, du wirfst verstohlene Blicke zur Tür. Erwartest du dir Rettung vom Wächter? Leider schläft der alte Somnambulo – so muß er heißen, denn ich hätte pfeifend an ihm vorbeispazieren können –, und zwar noch fester, als er es sonst zu tun pflegt. Ich habe ihm ein Entenei am Hinterkopf verpaßt, aber ich nehme an, daß er gegen Morgen wieder zu sich kommt. Und ich weiß, wann Wachablösung ist und wer seinen Platz einnehmen wird. Seit drei Tagen liege ich hier auf Beobachtungsposten, Miranda. Ich kenne die Rhythmen deines Hauses fast so gut, wie ich die Gezeiten an den Stränden meiner Insel kenne… unserer Insel.«
    »Dann warst du es, den Cesare gesehen
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