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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers
Autoren: Tad Williams
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an?«
    Die Frau im Bett zog scharf die Luft ein. »Gib Obacht, wie du von deinem Vater sprichst!« Ihre Stimme bebte. »Die Welt hat sich noch nicht so sehr gewandelt, daß… daß Töchter ihre Erzeuger schmähen dürfen, ohne mit Strafe rechnen zu müssen.« Sie hielt inne und blickte auf ihre in die Überdecke gekrallten schlanken Finger. »Vom Himmel, meine ich. Denn gewißlich ist es eine Sünde, sich dem Vater zu widersetzen, der dich liebt und der für dich sorgt.«
    »Ach, tut er das? Ich kann mich kaum erinnern, wie er aussieht, so selten ist er hier.« Sie zögerte, doch nur kurz. »Es wundert mich, daß Ihr ihn überhaupt noch als Euren Mann kennt.«
    »Giulietta! Wenn ich so etwas über meinen Vater gesagt, ja wenn ich solche Sachen nur gedacht hätte…!«
    Das Mädchen hörte mit dem unruhigen Umhergehen auf. Sie ballte die Fäuste und machte den Mund auf wie zur nächsten zornigen Anklage. Statt dessen jedoch erschauerte sie und warf sich neben dem Bett nieder. Sie preßte die Stirn gegen die Hüfte ihrer Mutter unter der Steppdecke und weinte. »Ich kann nicht atmen! Ich habe Träume, in denen ich lebendig begraben bin, schreckliche Albträume! Ich will Renato Ursino nicht heiraten! Ach, Mama, ich bin so unglücklich!«
    Die Frau strich ihrer Tochter übers dunkle Haar. »Aber was kann es denn sein, das dich so unglücklich macht, mein Häschen? Sag’s mir, ich bitte dich! Man sagt, er sei von sanftem Wesen, und das Haus seiner Familie ist ganz in der Nähe. Du wirst von allen, die du liebst, gar nicht weit weg sein.«
    »Aber genau das ist es! Ich habe im Leben noch nichts gesehen! Nichts getan! Und jetzt soll ich im Haus der Familie Ursino mein Leben fristen, und ich soll Kinder bekommen… und irgendwann bin ich alt und sterbe.«
    Ihre Mutter lachte schmerzlich überrascht auf. »Aber Liebes! Dir wird viel mehr widerfahren als das. Und darüber, daß du Kinder bekommen wirst, solltest du nicht die Nase rümpfen. Mein Leben wäre leer ohne dich, mein Herz, und ohne meine übrigen Lieben.«
    »Ihr habt vorher gelebt. Ich nicht, kein bißchen. Ich ersticke!« Giuliettas Klage, in den Schoß der Mutter gesprochen, klang gedämpft.
    »Was du von meiner Kindheit gehört hast, ist übertrieben, irreführend. Ich hatte häufig Angst…«
    Das Mädchen hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, und ihre Augen blitzten. »Ich hätte liebend gern Angst! Großvater hat Euch übers Meer mitgenommen. Ihr habt eine ganz neue Welt gesehen. Ich hingegen werde hier sterben, unter denselben Gesichtern, die ich mein Leben lang gesehen habe, im tristen, schwatzhaften Neapel!«
    Ehe die Mutter etwas erwidern konnte, schreckten beide von einem Klopfen an der Schlafzimmertür auf. Eine der Hofdamen steckte den Kopf herein und trat dann rasch zurück, um eine alte Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Arm einzulassen.
    »Ich bitte um Verzeihung, Hoheit.« Die alte Frau stockte kurz und warf der Tochter einen strengen, vielsagenden Blick zu. »Ich weiß, daß Ihr zur Schlafenszeit nicht gestört werden wollt, aber er hat einen Albtraum gehabt und schläft nicht wieder ein. Er fragt nur immerzu nach Euch.«
    »Aber natürlich, Francesca.« Die Mutter streckte die Arme aus, und der Junge wurde hineingelegt, die Augen halb geschlossen, die blonden Haare zerzaust und feucht geschwitzt. »Was hast du, mein kleiner Cesare?« fragte sie und streichelte sein gerötetes Gesicht. »Was hat alle meine Küken heute abend so in Aufregung versetzt?«
    »Mann, Mann.« Cesare fuchtelte mit seinem pummeligen Händchen.
    »Er meint, er hätte einen Mann am Fenster gesehen«, sagte die Amme zärtlich. »Immer wieder hat er darauf gedeutet und geweint.«
    »Ach, hat mein armer Kleiner schlecht geträumt?« Die Mutter küßte die getrockneten Tränen auf den Backen des Jungen. »Cesare, da draußen am Fenster ist kein Mann. Das ist viel zu hoch oben.« Sie sang ihm ein Weilchen etwas vor, schließlich wandte sie sich der alten Francesca zu. »So, ich denke, er schläft wieder.«
    Giulietta hatte sich verstohlen das verweinte Gesicht abgewischt und stand jetzt auf. Ihr zorniger Blick wanderte von der Amme zur Mutter. »Er würde besser schlafen, wenn er nicht so viele Süßigkeiten bekäme.«
    »Ja.« Ihre Mutter nickte und lächelte dazu, als ob Giuliettas Ton gar nicht so scharf gewesen wäre. »Er ist wirklich verwöhnt, der kleine Liebling.«
    »Seht!« sagte die Amme. »Ihr habt recht, Hoheit, er ist schon wieder eingenickt. Ja, ja, die Hand
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