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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen
Autoren: Dagmar Fohl
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Hartmann lachte auf. Es war ein befreiendes Lachen.
    Almut erwachte. Sie legte den Arm über ihn. »Was ist? Hast du geträumt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Du hast gelacht.«
    »Ja?«
    »Schlaf weiter, Lieber.«
    Andreas Hartmann überkam eine große Ruhe. Was er zu tun hatte, lag immer deutlicher vor ihm. Hätte er geahnt, was er jetzt wusste, hätte er Almut nicht geheiratet und keine Familie gegründet. Aber er würde sich nicht bemühen, sich zu rechtfertigen. Jetzt ging er den Weg, den er nun einmal gehen musste.
     
    Die Tage zogen dahin. Der Gedanke erwachte mit ihm am Morgen und legte sich abends mit ihm schlafen. Nach außen hin ließ er sich nichts anmerken. Jeden Tag plauderte er mit Almut und den Kindern, mit den Freunden und Bekannten über Alltäglichkeiten. Almut freute sich, dass er an dem Leben um ihn herum Anteil nahm. Doch im Innern steigerte sich seine Erregung von Tag zu Tag. Wenn er noch länger wartete, würde er vorher verrückt werden. Doch er konnte sich nicht entscheiden, wann und wie es geschehen sollte.
    Die Angst kam zurück. Sie überfiel ihn, machte ihn labil. Er hatte schon die dritte Nacht schlecht geschlafen. Was, wenn es misslang? Würde er es schaffen? Er vertrieb die feigen Gedanken. Es war notwendig, es gab kein Zurück mehr, egal wie lange er noch brauchte, um es zu tun. Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er es schon hinter sich hätte. Und spürte eine ungekannte Erleichterung. Die Engel werden springen und tanzen. Und sie werden laut verkünden: Was du getan hast, war richtig.
     
    Es war vier Uhr morgens. Andreas Hartmann lag seit Stunden schlaflos neben Almut. Plötzlich glaubte er, splitternackt in einem Ameisenhaufen zu liegen. Sein ganzer Körper brannte und glühte. Angst, Entsetzen und unerträglicher Schmerz überkamen ihn. Jetzt, jetzt musste es sein, sofort, auch die Kinder, Kinder, alle, rasch, rasch. Das war die Lösung. Auslöschen. Er konnte nichts anderes mehr denken. Nun mach schon, lachte der Kerl hinter ihm. Spute dich.
    Er sprang aus dem Bett, eilte zur Kommode, nahm sein Rasiermesser heraus, hastete zum Bett zurück. Wie betäubt ließ er die Klinge über ihren Hals fahren. Almut gab keinen Laut von sich. Er sah das Blut. Überall strömte Blut. Er rannte ins Kinderzimmer nebenan, setzte das Messer an Hannes’ Kehle. Stille. Jetzt die Treppe hinauf. Jule lag zur Wand gedreht. Warum lag sie nicht wie die anderen? Er schnitt trotzdem. Jule erwachte. Sie griff in das Messer. Stumm. Erstickt. Überwältigt. Er sah nichts mehr, hörte nichts, schnitt weiter. Ihr Blut troff solange, bis sie sich nicht mehr rührte, bis ihre Hände schlaff auf die Decke fielen. Er rannte zurück in sein Schlafzimmer, warf das Rasiermesser und sein blutiges Nachthemd auf den Boden. Er wusste nun, was zu tun war. Wusste es genau. Er wusch sich, kleidete sich an, packte seine Tasche. Wäsche, Hosen, Hemden. Ich muss weg, doch, doch, ich muss weg. Zu ihr. Tu es. Tu es.
    »Keike!«, rief er mit hohler, verlassener Stimme und stürzte wie ein Wahnsinniger aus dem Haus.
    Er stand mit der Tasche vorm Haus, als er zu sich kam. Er zitterte er am ganzen Leib. Was hatte er getan? Welcher Dämon hatte in ihm gehaust? Er hatte sich willenlos dem Teufel übergeben. Er hatte seine Familie umgebracht. Ein Albtraum, Gott im Himmel, sag, dass es ein Albtraum ist. Aber das Blut, all das Blut. Er hatte es getan. Er ließ die Tasche fallen, lief ins Haus zurück, ging ins Schlafzimmer, blickte auf das Blutbad, das er angerichtet hatte. Grauen befiel ihn. Er warf sich auf den Boden, krümmte sich, stieß abgehackte Laute aus. Sie liebten mich doch. Ich habe euch ermordet. Seid ihr tot? So lebt doch wieder. Er schnellte in die Höhe, stürzte hinaus, tastete sich an den Häusermauern entlang. Plötzlich raste er wie ein gehetztes Tier durch die menschenleeren Gassen. Es zog ihn zum Wasser. Er ging zum Deichtor, über den Steindamm zur Kuhmühle, watete in die Alster, tauchte unter, wieder und wieder. Jedes Mal befahl er sich: Jetzt bleib unten! Doch der Kerl folgte nicht mal sich selbst. So ein Schwächling! Wahrhaftig. Mit dem Ertrinken ist es nichts. Aber da hatte er die Rechnung ohne ihn gemacht. Er hatte ja noch das kleine Messer. Er schleppte sich ans Ufer. Stich zu Feigling, stich. Er traute sich nicht. Der Kerl lachte auf. Traust dich nicht, traust dich nicht. Mach schon, ich will nicht ewig warten. Jetzt ist es genug. Schäumen werde ich vor Wut, wenn es jetzt nicht passiert. Er stach sich
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