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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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Gleichgewicht wie ein Floß, das von einer Ratte und einem
Rhinozeros gerudert wird .« Viper-im-Gras hatte die
entsprechende Position an der rechten Tragestange inne.
    »Hör auf zu keifen, du
Knallkopf! Du hast nicht genug Grips, um gleichzeitig zu reden und zu tragen,
und wenn du deinen gottverdammten
    Mund aufmachst, wippen
deine Schultern wie Titten bei einem Ammentreffen !«
    Nachttopf Chung und der
Wurm, die Träger an den hinteren Stangen, zeigten wenig Verständnis.
    »Sauft Essig, ihr
Scheißer! Glaubt ihr, es gefällt uns, wenn uns der Geifer von zwei Stinktieren
mit Maul- und Klauenseuche um die Ohren fliegt ?«
    »Ochse, von hier an sollten
wir unseren Weg mit Würde machen«, erklärte Meister Li.
    Ich hielt die Sänfte an,
sprang hinaus, packte die vordere Tragestange, an der sich die Träger noch
festklammerten und schleuderte sie mit solcher Wucht zu Boden, daß ihnen fast
die Zähne aus dem Mund fielen.
    »Hört mal her, ming t'e mao
tsei! (Ein sehr nützlicher Satz für jemanden, der Peking besucht. Er bedeutet:
Ihr kornfressenden Seidenspinnerraupendiebe !« )
Noch ein Muckser, und ich verfüttere eure gesammelten Überreste an eine Mücke .« Ich kletterte in die Sänfte zurück, und wir setzten
unseren Weg zwischen den Phönix-Türmen hindurch und über den Wallgraben in
angemessenem Schweigen fort. Meister Li steht bei Hofe schon seit Jahren nicht
mehr in Gnaden, aber er ist noch im Besitz des Ranges und der entsprechenden
Papiere, und da die Palastwache keine Anweisung hatte, ihn aufzuhalten, passierten
wir problemlos das Tor des Mittags, und die Verbotene Stadt lag vor uns. »Jetzt
brauche ich deine scharfen jungen Augen«, sagte Meister Li. »Wenn ich mich
nicht irre, ist einer der oberen Mandarine Festmahl für einen Leichenfresser
geworden, und aus unerfindlichen Gründen tun seine Kollegen alles in ihrer
Macht Stehende, um die Sache zu vertuschen. Dennoch müssen sie dem Mann ein
Begräbnis zukommen lassen, und unter den gegebenen Umständen können sie ihm
unmöglich einen Pfahl verweigern .«
    Ich verstand, was er
meinte, bin aber nicht sicher, ob es unzivilisier-ten Lesern klar sein wird,
daher will ich es kurz erklären. Alle Menschen haben zwei Seelen. Die höhere Hun- Seele hat ihren Sitz in der Leber, und wenn jemand stirbt, wird genau
über seiner Leber ein Loch in den Sarg gebohrt, damit die höhere Seele ein und
aus fliegen kann, wenn sie es wünscht. Die niedere Po-Seele hat ihren Sitz in
der Lunge, und sie darf unter keinen Umständen hinausgelassen werden. In ihr
wohnen die animalischen Instinkte und Verhaltensweisen des Menschen, und sie
kann ohne weiteres schlecht werden und als böser Geist über die Erde wandeln.
Die Hun-Seele muß in den neunundvierzig Tagen, in denen über sie gerichtet
wird, zwischen der Leber und dem Gericht des Gottes der Mauern und Gräben in
der Hölle hin und her wandern, doch wenn sie sich außerhalb ihres vertrauten
Körpers befindet, kann sie leicht die Orientierung verlieren, und es ist ein
furchtbares Unglück, wenn sich eine höhere Seele verirrt. Sie kann sich in
ihrer heillosen Verwirrung in einem völlig ungeeigneten Körper niederlassen und
verdorben werden, und wenn eine höhere Seele sich zum Schlechten wendet, dann
wird sie wirklich schlecht. Auf diese Weise entstehen solche Wesen wie
leichenfressende Vampire, und das ist auch der Grund, warum ein Leitsignal
errichtet wird, das den wandernden Seelen hilft, nach Hause zu finden. Es ist
eine hohe Stange, an deren Spitze eine leuchtend rote Flagge befestigt ist und
die vor Häusern, in denen es einen Todesfall gegeben hat, aufgestellt wird:
links von der Tür für einen Mann, rechts davon für eine Frau. Nach Meister Lis
Überzeugung konnten es die Mandarine unmöglich riskieren, daß sich die
Hun-Seele ihres Kollegen verirrte und in eben das gleiche Ungeheuer
verwandelte, das ihn ermordet hatte, so daß ihnen nichts anderes übrigblieb,
als eine Leitstange zu errichten.
    Ich hielt nach einer roten
Stange Ausschau, und das war eigentlich ein Jammer. Es war mein erster Ausflug
in die Verbotene Stadt, und ich hätte mich nur zu gern umgesehen und Meister Li
Fragen dazu gestellt, aber an diesem Tag erfuhr ich nicht mehr darüber, als daß
man sie besser den Verbotenen Park genannt hätte. Nachdem wir die Hauptstraße
verlassen hatten, befanden wir uns in einem Labyrinth von Bäumen, Büschen und
Blumen, die so angelegt waren, daß sie immer wieder den Blick freigaben auf
köstliche und
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