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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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meine
Stöcke und ging zu meinem Boot an der Anlegestelle. Rudern ist der einzige
Sport, den ich noch betreiben kann. Ich übe mit den Stöcken«, erklärte er und deutete mit den Stöcken schiebende Bewegungen an, die
tatsächlich aussahen, als würde er rudern. »Ich ruderte zur Hortensien-Insel
hinüber, wo ich einen Landungssteg und einen Weg habe anlegen lassen, den ich
bewältigen kann. Ich machte einen Spaziergang durch den Wald und wünschte mir,
während ich den Mond bewunderte, daß mein Kopf noch zum Dichten taugen würde,
als ich einen furchtbaren Schrei hörte. Dann sah ich Ma Tuan Lin, der auf mich
zugerannt kam .«
    Der Heilige neigte den Kopf
nach hinten, so daß er Meister Li von oben herab ansah, und ein verhaltenes
Lächeln zuckte um seine Lippen.
    »Jetzt kommt vermutlich der
senile Teil der Geschichte. Ich weiß es nicht, Kao, ich weiß es einfach nicht.
Ich kann dir nur erzählen, was ich gesehen habe oder glaube gesehen zu haben.
Zunächst einmal wurde Ma von einem kleinen runzeligen Mann gejagt, der älter war
als du, vielleicht sogar älter als ich, jedoch so leichtfüßig rannte wie ein
Kind und dabei scharfe Laute ausstieß, die sich anhörten wie Pi-fang!
Pi-fang ! « »Was?« fragte Meister Li.
    Der Himmlische Meister
zuckte die Achseln. »Keine Bedeutung, nur ein Laut. Pi-fang ! Ma hielt etwas in den Händen, das ich für einen
Vogelkäfig hielt, einen leeren Vögelkäfig, und als er wieder einen
Entsetzensschrei ausstieß, wurde ein Waldhuhnpärchen aus seinem Nest
aufgescheucht. Ihre Flügel machten Flapp-Flapp-Flapp, als sie in die
Dunkelheit hochschössen und genau vor meinem Gesicht aufflatterten, so daß ich
hinterrücks ins hohe Gras fiel, was mir vermutlich das Leben rettete. Der
kleine Mann sah mich nicht im Vorüberrennen. Er schwenkte die rechte Hand, in
der gleich darauf etwas rot zu glühen begann, und dann schleuderte er eine
Feuerkugel, die Ma Tuan Lin genau auf dem Rücken traf .«
    Meister Li verschluckte
sich und schlug sich auf die Brust. »Eine Feuerkugel ?« fragte er, als er sich wieder beruhigt hatte.
    »Ich weiß, ich weiß. Jetzt
hat der alte Knabe das letzte bißchen Verstand verloren«, sagte der Himmlische
Meister sarkastisch. »Ich erzähle dir, was ich glaube gesehen zu haben. Ma war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug. Um das zu
erkennen, brauchte ich keine Autopsie. Der kleine Alte rannte mit leichten
Sprüngen, wie ein Blatt im Wind, an ihm vorüber, und dann wurde ich von einem
grellen Blitz geblendet. Als mein Blick sich wieder klärte, war kein kleiner
alter Mann mehr zu sehen. Ma lag am Boden, neben sich im hohen Gras das
Käfigding, und sein Rücken qualmte. Ich sah mich nach allen Seiten um. Kein
kleiner alter Mann. Dann hörte ich hoch über mir ein fernes Pi-fang ! , und als ich aufblickte, sah ich vor der Mondscheibe
einen großen weißen Kranich davonfliegen.« Der Heilige atmete tief durch und
breitete die Arme aus. »Du hältst das für verrückt? Ich habe noch nicht einmal
richtig begonnen .« »Ich kann es kaum erwarten«, warf
Meister Li ein. »Kao, neben dem Pavillon, den Ma auf der Hortensien-Insel bewohnte,
befindet sich ein großer Erdhaufen, der von irgendeinem nicht ausgeführten
Bauvorhaben stammt, und ich merkte erst, als ich den Haufen sah, daß ich in der
Nähe des Pavillons war«, erklärte der Himmlische Meister. »Ein leises Geräusch,
das von dem Erdhaufen ausging, zog meinen Blick an, und ich wußte endgültig,
daß ich den Verstand verloren hatte, als sich eine gräßliche Klauenhand ins
Mondlicht schob. Dann folgte eine zweite, die Erde brach auf, etwas Großes
wuchtete sich im Mondschein hoch, und als die Erde von ihm abfiel, sah ich den
schönsten Ch'ih-mei vor mir, den man in China seit einem Jahrhundert oder mehr
gesehen hat. Ein klassischer Leichenfresser, Kao, und er blickte zu diesem
Kranich am Himmel auf. Dann schrumpfte der Kranich zu einem winzigen Pünktchen
und verschwand, worauf der Ch'ih-mei den Blick wieder senkte und Ma Tuan Lin
entdeckte. Mit zwei Schritten war er bei ihm und riß ihm, so wahr ich hier
sitze, ohne Umstände den Kopf ab! Er hob die blutige Beute an seinen Mund und
nahm einen kräftigen Biß, aber dann sah ich nichts mehr! Ich kroch, indem ich
mich irgendwie mit meinen Stöcken abstieß, rückwärts davon und hoffte, daß das
Kauen des Ungeheuers alle Geräusche, die ich machte, übertönen würde, so daß
ich in den Schutz der Bäume zurückgelangen konnte. Ich erreichte mein Boot,
ruderte
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