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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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sanften Wellen auf und ab
hüpften und in der untergehenden Sonne glühten, folgte uns jetzt, und als ich
den Blick an meinen Eltern vorüberschweifen ließ, sah ich so etwas wie einen
dunklen Wall, wie eine tiefhängende Nebelbank, in deren Mitte sich ein
leuchtendes Tor öffnete, und das Wasser, das hineinfloß, war aus den Farben des
Himmels gewoben. »Aber weißt du, Mutter«, sagte ich, »in Peking ist es auch
nicht viel anders als in unserem Dorf. Du solltest nicht alle
Schreckensgeschichten glauben, die du hörst...«
    Die Geister, die Meister Li
umringt hatten, waren zurückgewichen und verneigten sich jetzt bis zum Boden.
Der Weise trat mit einem breiten Lächeln der Begrüßung vor, acht verhüllte
Herren sammelten sich um ihn, und ich sah, wie sie in angeregter Unterhaltung
mit den Händen gestikulierten.
    Ich zeigte lachend auf ihn.
»Siehst du, das ist Meister Li«, sagte ich. »Wie könnte ich je in
Schwierigkeiten geraten, solange ich für einen so reizenden alten Herrn arbeite ?«
    Das Boot glitt ruhig durch
den funkelnden Torbogen. Vor uns ragten hoch die Umrisse des Jo-Baumes auf, an
dem die Göttin Kan-shui die Sonne auffangen und baden und mit dem unterirdischen
Fluß zur anderen Seite der Erde schicken würde, damit sie dort über die Aste
des Fu-sang-Baumes wieder zum Himmel hinaufsteigen konnte. Die Blüten des
Jo-Baumes begannen sich zu öffnen und die ersten Nachtsterne zu bilden, und um
uns herum erschien das Wasser wie aus der Glut der untergehenden Sonne gewoben.
»Ochse !« rief Meister Li. »Komm mit deinen verehrten
Eltern und begrüße einige alte Freunde!« »Ja, Ehrwürdiger Meister«, sagte ich.
    1   Wirt Sechsten Grades Tu wurde nie
wieder gesehen. Drei Monate später entdeckte der Polizeibeamte, dem die Aufgabe
übertragen worden war, die Leichen im Keller des Wirts auszugraben, die 214
Notizbücher mit Rezepten, kulinarischen Anmerkungen und Aufsätzen zur Ästhetik,
die das Rückgrat der zweitgrößten je bekannten Küche bilden sollten. In
Jahresfrist hatte sich eine mächtige Interessengemeinschaft zusammengetan, die
auf die angemessene Anerkennung drang, und innerhalb kürzester Zeit waren alle
Anklagen gegen einen wahnsinnigen Gastwirt aus den Akten verschwunden. Wirt
Sechsten Grades Tu wurde in den Pantheon erhoben, wo er in der göttlichen
Gestalt eines hellen Sterns im Sternenhaufen der Hyaden leuchtet, und in weiten
Teilen Chinas wird er immer noch als Tu K'ang, Schutzpatron der Köche und
Gastwirte, verehrt.
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