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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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sich aus dem Nebel und fiel wieder
zurück. Zwei der Tropfen, die ihr über das Gesicht rannen, waren kein aus Musik
entstandenes Wasser. Dann tauchte sie. Yu Lan verschwand in den Wellen, und ich
sollte ihr Gesicht nie wiedersehen, aber etwas anderes sah ich. Zu unserer Linken
schäumte das Wasser vor dem Yang-Boot auf, und ein mächtiger glänzender
Fischschwanz tauchte auf. Die Schuppen funkelten im grellen Sonnenlicht, als er
mit enormer Wucht ausschlug und gegen den Bug des Bootes krachte.
    Einen Augenblick lang stand
das Yang-Boot still, als hinge es an einer Leine, an der jemand gezogen hatte,
und als es mit einem Satz nach vorne schoß, hatte es seinen Vorsprung
eingebüßt. Wir befanden uns auf gleicher Höhe, und wir hatten vielleicht sogar
einen kleinen Vorteil, da unsere Ruderer im gleichmäßigen Rhythmus ihrer
Schläge nicht unterbrochen worden waren. Meister Lis Stimme donnerte jetzt wie
ein Vulkan:
    »Auf, Erster Macher! Auf,
Angestammte Klugheit! Auf, Lunge und Magen! Hao! Hao! Aufstieg und Erhabenheit,
Alles Ergreifender, Schleifender und Amputierender! Auf,
In-Saft-und-Kraft-Stehen-der! Auf, Du-Aus-dem-Rahmen-Fallender! Hao! Hao! Hao!«
Der Springende und Vorwärtsdrängende drosch mit aller ihm zur Verfügung
stehenden Kraft auf seine Trommel ein, der Gleitende und Ziehende schmetterte
seine Schlaghölzer aneinander, und die Männer an den Riemen mühten sich, mit
den Schlägen der Ersten Ruderer mitzuhalten. Meister Li hob die Hand, und ich
wartete darauf, daß sich das Tuch ausrollte und zurückschnellte. Das Kommando
kam. Runter, Schub, gerade halten, zielen, knapp aus dem Wasser bringen und auf
das Zeichen des Tuchs warten... Runter, hart nach links, hoch... runter, leicht
nach rechts, hoch... Wir waren jetzt leicht in Führung und hatten uns dem
Yang-Boot in den Weg geschoben. Riemen kratzten an Riemen, Holz traf knirschend
auf Holz, das lange, schlanke, glänzende Drachenhorn an unserem Bug reckte sich
nach vorn - und dann stieß es durch den schimmernden Pi-Ring, der sich eng
darum schmiegte. Im selben Augenblick waren die Ziellinie und die
Uferböschungen verschwunden, die Ruderer ließen sich zurücksinken und zogen
ihre Riemen ein, und zwei majestätische Drachenboote glitten Seite an Seite
durch den zarten Nebel.
    Meister Li drehte sich
bedächtig zu dem Puppenspieler um. Neid wandte sich ihm im selben Augenblick
zu, die beiden musterten sich eine Weile wortlos, und dann breitete sich - mit
einer Qual, die jenseits meines Begriffsvermögens lag - das wundervolle
Lächeln, das einem strahlenden Sonnenaufgang glich, auf dem grellen Affengesicht
aus.
    »Ausgleichende
Gerechtigkeit ist ein bißchen zu gefällig für meinen Geschmack, aber ich muß
zugeben, daß ihre Wirksamkeit bewundernswert ist«, sagte Neid. Ich stellte
fest, daß sein Boot durchsichtig wurde und auch seine Mannschaft im Nebel verblaßte.
Nur der Puppenspieler behielt seine Gestalt. Er bückte sich und hob den letzten
Käfig, den er an sich gebracht hatte, auf. »Es gibt einen Weg, an den Schlüssel
zu gelangen, ohne das Wesen im Innern freizusetzen«, erklärte er beiläufig. »Es
wird Zeit, daß Ihr den letzten meiner Brüder kennenlernt, aber habt keine Angst. Das wäre ein armseliger Ritter, der eine
Herausforderung annimmt und zur Mordwaffe greift, wenn er verliert .«
    Er machte eine Bewegung mit
der linken Hand, und gleich darauf flammte ein greller Blitz auf. Als ich
wieder sehen konnte, fiel mein Blick auf den letzten der Dämonengötter. Der
Gott der Säcke war zweifellos das letzte Geschöpf eines aussterbenden
Geschlechts und, wie Meister Li später bemerkte, der deutlichste Hinweis
darauf, was es bedeutet, eine gesamte Zivilisation zu verlieren. Es war ein
formloser Sack, nichts weiter. Sein Vater war Chaos, seine Mutter die Leere,
und er hat keine Existenzberechtigung, keinen Anfang und kein Ende. Der große
Ritter, den ich als Yen Shih gekannt hatte, breitete zärtlich die Arme aus und
umfing seinen Bruder, und der Sack öffnete sich für ihn. Gemeinsam schwebten
sie hoch in die Lüfte, flatterten und taumelten wie eine blinde Motte hierhin
und dorthin; Neid und Anarchie - ziellos und untrennbar flogen sie davon, um
das Nichts im Nirgendwo zu suchen. Vom Yang-Boot und seiner Mannschaft war
nichts mehr zu sehen. Das Yin-Boot, auf dem ich stand, schien durchsichtig zu
werden, aber ich hatte seltsamerweise keine Angst, mich aufzulösen. Ich verließ
das Steuer und ging an den Reihen der Ruderer vorbei zu
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