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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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ohne mir etwas Schlimmeres
als eine blutige Nase zu holen, als mir der Rudergriff ins Gesicht schlug.
Warte... warte... runter! Nach rechts drücken. Eins... zwei... drei... hoch!
Nicht sehr schön, aber wir hatten es geschafft, einen Bogen zu fahren und waren
jetzt wieder auf Kurs. Mit großen Augen betrachtete ich die schwarze Klippe,
die beide Boote, durch Regenbogenwellen schießend, umschifft hatten. Sonnen-
und Mondsymbole waren darin eingemeißelt, Yang und Yin, und ich fragte mich, ob
es im Zusammenhang mit der Gnomonfunktion der Rennstrecke stand, ob es so etwas
wie ein Meßstrich war.
    Meister Li gab ein
Kommando, die Schlaghölzer wiederholten den Befehl, und die Ersten Ruderer
beschleunigten ihre kraftvollen Schläge wieder einen Deut: Bumm! Rat-tat-tat,
bumm! Rat-tat-tat, bumm! Rat-tat-tat. Uns gegenüber hatte Neid denselben Befehl
zum gleichen Zeitpunkt gegeben, und die Boote waren exakt auf derselben Höhe.
    Der Kapitän ist natürlich
das wichtigste Mitglied der Mannschaft. Die Ziege hat ihren Platz so weit hinten,
daß derjenige, der diese Position innehat, unmöglich die Gefahren sehen kann,
die auf dem Weg liegen, die Welt der Ruderer beginnt und endet mit den Riemen,
und die Trommler haben die Aufgabe, anzufeuern, den Rhythmus anzugeben und
Befehle zu übermitteln, nicht aber schöpferisch zu gestalten. Der Kapitän
fungiert von seinem Pfosten im Bug aus als Augen und Gehirn, und ein einziges
falsches Kommando mit dem wehenden Tuch kann das Ende des Rennens bedeuten.
Mein Vertrauen in Meister Li ist grenzenlos, aber ich mußte mir eingestehen,
daß er sich in einer ähnlichen Lage befand wie ich. Ihm gegenüber stand ein
Ritter, der es gewagt hatte, die mächtigste und gefährlichste unter den
Göttinnen zu lieben und zu verraten, der dieses selbe Rennen einstmals gegen Acht
Gelehrte Herren ausgetragen hatte und der sogar ein Drachengespann auf einer
Bahn zwischen den Sternen hindurchgejagt hatte - oder etwas ähnlich
Spektakuläres, wenn man die dichterische Übertreibung berücksichtigt. Der
Puppenspieler sah aus, als würde ihn nichts in der Welt bekümmern, wie er sich
so mühelos mit den Bewegungen des Bootes wiegte und darauf verzichtete, sich an
einem Pfosten anzulehnen.
    Bumm, rat-tat-tat, bumm,
rat-tat-tat, bumm, rat-tat-tat. Die Boote kämpften jetzt, auf und ab schaukelnd,
gegen die Wellen an, und mir wurde der erste Grund für den Namen Ziege klar. In
rauhem Gewässer muß der Steuermann durch Seitwärtsbewegungen seines Ruders das
Boot in Balance halten, indem er die Strömungen mit Hilfe des Luftzuges
ausgleicht, ohne zum wesentlich stärkeren Wasserdruck des herkömmlichen
Steuerns Zuflucht zu nehmen. Ich flog die meiste Zeit durch die Luft und stieß
mit allem zusammen, das mir in den Weg kam, während ich mich mit dem riesigen,
schweren Gerät abmühte, doch als ich einen Blick durch den Sprühnebel zur
Linken warf, sah ich, daß Kuan ihr Ruder mit nur einem Druck oder einem Ruck
ihrer Hand dirigierte. Wie machte sie das? Kraft konnte nicht die einzige
Erklärung sein. Irgendwie ahnte sie jede Welle, jede Böe voraus, sie wußte, wann
das Boot hochstieg und wieder herunterklatschte und stand immer in der
richtigen Position. Um uns herum schwollen die Schwingungen der Yu-Musik an.
Die Höhle schien verschwunden zu sein. Der Himmel (war es überhaupt ein
Himmel?) hatte sich tiefdunkel gefärbt, und die Regenbögen, die das Wasser
durchwoben, leuchteten wie Feuer. Ich glaubte, zu beiden Seiten Uferböschungen
zu erkennen, die mit Bäumen und wild wucherndem Gesträuch bewachsen waren, und
dann erkannte ich Menschen am rechten und große, schreckliche Kreaturen am linken Ufer. Die Tücher gaben das Signal, die Trommelschläge
wurden schneller, und die acht Ersten Ruderer nahmen den Rhythmus auf. Die
Boote schössen davon wie fliegende Pfeile, und Gischt spritzte auf. Die
Schlaghölzer klapperten ihr drängendes Kommando. Warte... warte... runter,
Schub, hoch... warte... warte... runter, Schub, hoch! Wir umschifften sicher
die zweite aufragende Klippe mit den Sonnenwendmarkierungen, aber diesmal hatte
ich das Ruder einen Moment zu spät aus dem Wasser gehoben. Vermutlich bemerkte
niemand, daß das Yang-Boot nach vorne zog, als Kuan die Wende perfekt
ausführte, aber mir entging es nicht. Sie war jetzt einige Zentimeter vor mir,
und wenn diese schroffen Felsen wirklich Gnomonmarkierungen waren, mußten noch
vier weitere folgen. Ich mochte gar nicht daran denken, wie weit sie
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