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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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grünen
Hintergrund abhob. Es war ein Schwärm Fliegen, und sie summten um dunkle,
ehemals rote Streifen, die sich klebrig durch das Gras zogen. Wir traten an den
Erdhügel und entdeckten dort Anzeichen dafür, daß vor ganz kurzer Zeit die Erde
aufgewühlt worden war, möglicherweise von einem Unwesen, das hier ins Freie
gekrochen war. Unweit des Haufens entdeckte ich Sandalenspuren auf dem weichen
Boden des Weges. Die Zehen hatten sich tief eingegraben und Erde hinter sich
aufgeworfen, was auf eine Person hindeutete, die um ihr Leben gelaufen war.
Kurze Zeit später entdeckte ich auf einer anderen weichen Stelle des Bodens
einen riesigen Abdruck, den man gut und gerne einem Wesen wie dem Leichenfresser
hätte zuschreiben können. »Der Himmlische Meister hat keinen Grund, einen
Gegenstand wie diesen Vogelkäfig zu erfinden. Suchen wir ihn also«, murmelte
Meister Li.
    Wir fanden den Käfig in der
Nähe der Blutspuren im hohen Gras. Der Weise hob ihn auf,
und als er ihn näher betrachtete, pfiff er anerkennend durch die Zähne. Selbst
ich konnte erkennen, daß es ein vorzüglich gearbeitetes und sehr altes Stück
war. Einen Vogel hätte man darin allerdings nicht gefangenhalten können. Die
Stäbe waren in eigenartigen Abständen angeordnet, und es gab mindestens eine
Lücke, durch die ein kleiner Vogel hätte entweichen können. Um die Gitterstäbe
verlief ein merkwürdiges Gewirr von Drähten. Eine einzelne Perle war daran
aufgezogen, die man mit etwas Geschicklichkeit in die eine oder andere Richtung
bewegen konnte, doch Meister Li erklärte, daß eine Perle allein unmöglich
genügend Funktionen erfüllen konnte, um als einfacher Rechen-
    Schieber zu dienen. Die
Stäbe waren mit Symbolen aller Art, von Tieren über Instrumente bis zu
astronomischen Zeichen, verziert, und Meister Li schüttelte mit einem
Schulterzucken den Kopf. »Keine Ahnung, wozu der Käfig gedient haben könnte,
aber er ist wahrscheinlich sehr alt«, erklärte er. »Man kann von Ma Tuan Lin
halten, was man will, aber er hatte einen Riecher für das Aufspüren wertvoller
Kunstgegenstände. Er war ein bedeutender Sammler und hielt sich für eine
Koryphäe. Vielleicht finden wir etwas darüber in seinen Unterlagen .«
    Er befestigte den Käfig mit
seiner langen gelben Schärpe an der Taille, dann blieb er einen Augenblick, die
Hände in die Seiten gestemmt, stehen und blickte sich um.
    »Mein lieber alter Freund
und Lehrer ist hierher gerudert und im Mondschein spazierengegangen«, begann er
langsam und mit wehmütiger Stimme. »Wie es das Schicksal wollte, kam er gerade
rechtzeitig an, um zu sehen, wie ein Ungeheuer sein Abendessen, nämlich Ma Tuan
Lin, jagte und ihm tatsächlich vor seinen Augen den Kopf abriß. Ochse, du hast
den Himmlischen Meister gehört. Du weißt, daß er Ma Tuan Lin nicht leiden
konnte. Er fühlte sich tief im Innern schuldig, weil er keine Trauer angesichts
des schrecklichen Mordes empfand, und das Schuldgefühl wirkte auf seinen müden
Geist und projizierte Bilder, die zur Folge hatten, daß er seine Geschichte von
- hör mir gut zu - einem kleinen runzeligen Mann, der älter war als du,
vielleicht sogar älter als ich, jedoch so leichtfüßig rannte wie ein Kind
tatsächlich glaubt. Nun gut, was für einen Hut trägt der Himmlische Meister ?« Ich dachte darüber nach. »Es ist ein weißer, hoher Hut,
der spitz zuläuft«, sagte ich.
    »Man nennt ihn den Neun
Yang Donner Hut«, bemerkte Meister Li trocken. »Er soll einen Kranichschnabel
darstellen. Ist dir seine Kleidung aufgefallen ?«
    »Er trug ein taoistisches
Gewand und das Abzeichen des Höchsten Ranges«, antwortete ich. »Und das wäre ?« »Ein Kranich.«
    »Ganz genau, und hast du
seinen Amtsring bemerkt ?« erkundigte sich Meister Li.
    »Irgendein großer roter
Stein«, erwiderte ich.
    »Es ist ein Granat, der
Kugel des Vergeltenden Blitzes« genannt
    wird«, erklärte Meister Li.
    »Oh-oh«, sagte ich.
    »Das kann man wohl sagen«,
gab Meister Li zurück. »Ochse, der Himmlische Meister hat sich selbst als
kleinen alten Mann gesehen, der seine Stöcke wegwerfen und leichtfüßig rennen
kann wie ein Kind, um Schweinehunde wie Ma Tuan Lin zu massakrieren, indem er
sie mit seinem Amtsring attackiert und sich dann in den Kranich, den sein
Gewand und sein Hut symbolisieren, verwandelt und sich vor dem Mond durch die
rettenden Lüfte davon-schwingt wie in einem Traum. Die Mandarine fürchteten,
daß die falschen Leute diese Geschichte aufschnappen und einen
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