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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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auch nicht sagen wollte, zwar
wusste ich, dass Valentin wusste, und er wusste, dass ich wusste, dass er
wusste, aber wir haben über meine Nahrungsbeschaffung geschwiegen, mitten in
der Nacht musste ich zuhören und tröstete mich mit dem Brot, das er mitgebracht
hatte, und erfuhr, wie es in Kobers Haus aussah.
    Überall
Gefäße mit Bierlachen als Fliegenfallen. Der Tisch in der Diele mit Klaräpfeln,
Wasser, Butter, Brot und Fliegenklatschen gedeckt. Kober am Tischende,
Chemnitz, der Miles ihm gegenüber, Judith und Pflücke an der einen, Valentin
und Wordenhoff an der anderen Seite.
    Von einquartierten,
aus ihren Dörfern geflüchteten Bauern, von verwundeten oder versprengten
Soldaten sei Kobers Haus natürlich verschont. Baltzer sei fort. Er absolviere
bei Heinrich Schaum in Amsterdam eine Kaufmannslehre. Elsbeth und Anton seien
gestorben, Simon habe sich von den Wallensteinern anwerben lassen. Bei denen
gehe es nicht nach Herkunft und Erziehung, sondern nach Fähigkeiten, sagte man
ihm. Ein tüchtiger Soldat werde befördert und könne schnell das Kommando über
ein Fähnlein erhalten.
    Bei den
Schweden auch, dachte ich. Von Oberst Houwald hatte mir Una erzählt, er sei ein
Tuchmachersohn und habe einmal als einfacher Musketier angefangen. Als
Generalmajor wechselte er dann in sächsische Dienste, was mir aber so egal war
wie die Tatsache, dass Jenne, Robert und Ulla noch da seien, Kober seine Briefe
aber lieber von Peter Schulze, Nachbar Wordenhoffs Knecht, austragen ließ.
    »Erzähl es
mir lieber morgen. Ich bin müde. Ich fürchte, ich krieg nichts mehr mit.«
    »Hab schon
verstanden. Ist ja auch nicht so wichtig.«
    Oje. Wenn er
sich so umdrehte und so klang, gab es nur zwei Arten, ihn wieder
freundlich zu stimmen: betteln oder… Zu »oder« war ich nicht aufgelegt. Peter
hätte mir dafür wenigstens zu essen gegeben.
    »Valentin! So
war es doch nicht gemeint! – Du! Ich will dir nur raten können, aber wenn ich
nicht einmal die Namen von neun Männern behalte…«
    »Vier.«
    »Vier? Hast
du nicht gesagt, von zwölf Briefen habe Schulze drei nicht abgeben können?« (Na
bitte. Ging doch.)
    »Ja, aber von
den anderen sind nur Chemnitz, Pflücke und ich gekommen. Kober war wütend. Das
habe ein Nachspiel. Aber vielleicht wussten die von Kobers Ernennung noch
nichts.«
     
     
    Aber man
wusste. Dass Kober vom letzten der vier an der Pest verstorbenen Bürgermeister,
seinem Onkel Johannes Kunow, noch auf dem Sterbebett zum kommissarischen
Stadtoberhaupt ernannt worden war, hatte mir bei meinem nächtlichen
Nahrungserwerb auch schon der Scharfrichterjunge erzählt. Die Nachricht von
Kobers Verantwortung für die Stadt hatte sich mindestens ebenso schnell
verbreitet wie Mitte Mai das Gerücht von der Pest.
    Und damals
war der Rat dem Gerücht sogar entgegengetreten!
    Jener Bauer
aus Jakobsdorf, den man eines Morgens in der Breiten Straße im Rinnstein
gefunden hatte, sei an einem ansteckenden Durchfall gestorben. Aber ein
Durchfall, auch wenn er ansteckend sei, sagten die Leute, gehe nicht mit Husten
und geschwollenen Zungen, nicht mit Verfärbungen im Gesicht und Beulen in
Leisten und Achseln einher. Von einem ansteckenden Durchfall komme es nicht zu
Fehlgeburten auf offener Straße, irre man nicht im Nachthemd umher und suche
mit fiebrigen Augen sein Bett!
    Einer dieser
fiebrig Irrenden kam auch zu Schaums. Die Familie stand auf und wich vom
Esstisch kreideweiß an die Wand.
    Man möchte
doch Platz behalten, bat freundlich der Fremde. Es war der Kornbodenmeister.
Sie erkannten ihn, er sie aber nicht. Er sei etwas unpässlich, aber seine Frau
habe ja, wie er sehe, sich schon um die lieben Gäste gekümmert. Er werde
nachher auch kommen, sich jetzt nur etwas hinlegen.
    Nachdem sich
das Entsetzen nicht legen, nachdem niemand ihn aufhalten oder gar rauswerfen
wollte, durchquerte er auch die benachbarte Stube. Man hörte ihn die Tür zur
Schlafstube öffnen. Er legte sich dort in das Bett.
    Die Schaums
zogen danach zu den uralten Gartzens. Die waren schon seit Jahren auf ihr Ende
gefasst. »Wir sind alt, nicht, Vati?« – »Ja, Mutti, wir haben unser Leben
gelebt.« – Und am nächsten Tag wurden die Wirtshäuser geschlossen, hatte mir
Peter, der künftige Henker, erzählt. Am Sonntag darauf wurde von der Kanzel
verkündet, vorerst fänden keine Gottesdienste mehr statt. Schule werde nicht
mehr gehalten, Markt- und Gerichtstage auch nicht mehr, Wiesengeld und
Wasserpacht würden vorerst nicht eingezogen; und
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