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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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ihren Äxten schon auf den inneren
Flügel einschlugen. Alle Anwohner schoben ihre Wagen davor, während man von den
Wehrtürmen herab Feuer gab. Nur Pflücke nicht. Pflückes Wagen war gerade
kaputt.«
    Valentins
Nicken verstand sie. Als Kober von Zahlungen, Durchzügen, Einquartierungen,
Kontributionen und dem Obersten Fahrensbach sprach. Der hatte für sich
wöchentlich zweihundert Taler verlangt, für jeden seiner Oberstleutnants
achtzig Taler, für Hauptmann und Rittmeister fünfzig und so weiter und so
weiter, bis zum gemeinen Soldaten hinunter.
    »Und das
hielt er für rechtens«, sagte Kober empört. »Schließlich war er ja als Befreier
von den Mansfeldern gekommen.«
    Da war man
sich noch einig. Auch Valentin fand es nicht rechtens, dass zuletzt die
Stadtkasse von ihrem Inhalt befreit war. Die Dänen, die darin nichts mehr
fanden, nahmen dann Bürgermeister Benzin für ein Lösegeld mit.
    Er verstand
auch noch Kobers Zögern, als Judith fragte: »Soll ich das schreiben?«
    »Nein, noch
nicht.«
    Denn die Stadtkasse wurde von
des Landesherrn eigenen Truppen geleert, und man konnte doch seinen Kurfürsten
nicht des Raubes anklagen!
    »Waffen?«,
fragte Kober.
    Chemnitz, der
Miles, war endlich in seinem Element. Er rechnete vor, wie viele Hellebarden,
wie viele Musketen, wie viele Piken sich noch im Rathaus befinden müssten,
allerdings gebe es kein Baumaterial zum Instandsetzen von Mauerbreschen mehr
und die Soldaten hielten es für unter ihrer Würde, Schanzarbeiten zu leisten,
das sollten die Bauern machen, die aber weigerten sich, für Soldaten, durch die
sie alles verloren hatten, auch nur den kleinen Finger zu krümmen, und die
Bürger…
    »Zugpferde?«,
unterbrach Kober. Er leitete die Versammlung und er hatte nur nach den
Waffen gefragt!
    »Die Pferde sind
aufgegessen«, sagte der Miles kühl.
    Judith
wieder: »Soll ich das schreiben?«
    »Ja – nein!
Warte… Schreib…« Kober beugte sich zur Seite, sah auf das Blatt, auf dem noch
nicht viel stand.
    »Du hast das
Datum vergessen.«
    »Welchen
haben wir heute?«
    Während sie sorgfältig »20.
August 1638« malte, forderte Kober: »Schreib Folgendes: Von den fünf in der
Stadt vorhandenen Pferden – hast du? – sind am Tage der Zählung – hast du? –
drei krank gewesen…«
    »… krank
gewesen…«
    »Jawohl – und
zwei auf der Stelle niedergefallen und schleunigst gestorben.«
    »… und
schleunig gestorben.«
    Auch da tauschten Judith und
Valentin schnell einen Blick.
     
     
    Sie verstanden sich aber
nicht mehr, als es um die nassen Tierhäute ging, die man zum Ersticken von
Brandgeschossen brauchte.
    »Die Tierhäute«, meldete der
Miles, »sind alle gestohlen.«
    »Aber wozu
denn?« Judith verstand das nicht. Sie wohnte ja auch nicht Achter der Mauer.
    »Zum Kochen
und Essen«, sagte Valentin.
    »Und von
manchen Alarmtrommeln«, meldete der Miles, »sind auch nur noch die Zargen
übrig.«
    Ungefragt
erklärte Valentin: »Man hat die Kalbsfelle gekocht und gegessen.«
    Als Kober
dann auf die Leute schimpfte, sie wollten Prinzipientreue, aber Sicherheit
wollten sie auch, ihre Rechte, aber Sicherheit auch, und als ihm über die
Lippen kam, als Wachposten könnten die Jungen zu Männern gedeihen, während doch
jeder Anwesende wusste, dass er seinen Ältesten lieber nach Amsterdam geschickt
hatte, sah sich Valentin zum Widerspruch aufgefordert. Unterhandlungskunst war
halt nicht seine Stärke. Er müsse sich nicht wundern, dass er immer auf
Widerstand stoße, hatte Judith ihm einmal gesagt. Er habe zwar nie eine
Vorschrift verletzt, aber immer jene, die sie erließen.
    Er verletzte
dann wohl, indem er Kober angriff, auch sie.
    Man solle die
Stadttore öffnen. Die Schweden ließen gewiss mit sich reden. Was gingen denn
die Armen Pechfackeln, Wachdienst und Schießbefehl an. Was sollten sie denn
noch verteidigen, sie hätten nichts mehr!
    Draußen,
sagte er, draußen hätten sie Wurzeln, Beeren, bald auch Nüsse und Pilze.
Draußen könnten sie sich im Hainholz verstecken, Kleinwild in Fallen fangen, in
der Dömnitz fischen. Draußen gäbe es Hasen und Kaninchen. Gäbe es Hamster. Gäbe
es Fische und Vögel.
    Die Schweden?
Die solle man einlassen. In die Stadt, in die verpesteten Häuser. Oder gehe es
Kober gar nicht um das Schicksal der Stadt? Wolle er bloß nicht den Kurfürsten
erzürnen, indem er mit dessen Feinden, den Schweden, verhandle?
    Judith
wusste, dass Valentin so unrecht nicht hatte. Auch ihr hatte Kober die
verbrieften
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