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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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Beute gemacht haben könnten.
    Ringsum war Lärm. Der Raum
war voll. Männer, Weiber, Kinder, Hunde, Katzen, Gesang in einer Ecke, die Rufe
nach dem Wirt in der anderen. Am Nebentisch war ein deutscher Glatzkopf
bestrebt, sich mit den neuen Herren schon gut zu stellen. »Hjälp oss«,
versuchte er es auf Schwedisch. Ich kannte sein Gegenüber. Es war ein
schwedischer Kavallerist deutscher Herkunft: aus Rostock. Der Rostocker sagte
nichts, erwiderte meinen Blick und grinste.
    Ich sah
Valentin erst, als die Kerle im Hintergrund ihre leeren Krüge im Takt auf den
Tisch hieben, »Bier her! Bier her!« grölten und Honza, der gerade in dem Alter
war, da ein Kind alles nachplappert, echote: »Hierher! Hierher!«
    »Was sagst du? Ich bin ja
schon da.«
    Der lange
Mensch mit der braunroten Mähne setzte sich, hob Richtung Wirt seinen Daumen,
»Eins, Benno«, und wandte sich dem Kind wieder zu. »Was bist du für einer?
Kennst du schon deinen Namen?«
    Honza sperrte
staunend den Mund auf und ich sprach Tschechisch mit ihm, was sich oft bewährt
hatte: Man ahnt ja nicht, was Leute in Gegenwart von Fremden alles so sagen,
wenn sie des Glaubens sind, dass man sie nicht versteht!
    Außerdem sah
Una, die mir signalisierte, dass bei dem Langen bestimmt nichts zu holen sei,
doch wohl mein ernstes Gesicht!
    (Das hatte
ich auch von ihr gelernt: Ein Lächeln zu viel, und schon hieß es: »Was ist los!
Stell dich nicht so an!«, was einer Minderung des Warenwerts gleichkam.)
    Ich stellte mich damals an.
    Ich trank
zierlich Milch, rückte den Bierkrug, den die Magd brachte, aus der Reichweite
Honzas, war ganz liebende Mutter und antwortete mit starkem Akzent, als
Valentin wissen wollte, ob das mein Kind sei.
    »Majn Kiind?«
Augenbrauen hoch, Augen aufreißen, Lidschlag!
    »Ja. Ob du es geboren hast.
Bist du seine Mutter?«
    Weshalb ich
dann ehrlich wurde, was gleichbedeutend mit feindselig war, konnte ich weder
ihm noch mir später wirklich erklären.
    »Nein, ich hab das Kind auf
dem Jahrmarkt gewonnen.«
    Aber ich
hätte ihm sagen können, was mich für ihn einnahm. Dass er darauf schwieg. Dass
er mich ansah, sein Bier trank und schließlich nicht »Du kannst ja doch Deutsch!«
sagte, sondern: »So ein Glück hätte ich auch gern.«
    Mein Gott, was machte ich
denn! Ich sollte Kunden fangen, nicht Reden anhören. Reden über die schlechte
Besoldung der Lehrer und über die späte Heirat der meisten. Ich sollte Gelüste
wecken, Gedanken in bestimmte Richtungen lenken, stattdessen hörte ich mich,
kaum dass die Worte »Lehrer« und »Lateinschule« gefallen waren, lächelnd (!)
»Salve magister« sagen!
    Etwas in mir hatte damals
schneller meine Chance begriffen als mein Verstand.
    Seine
Verblüffung in der rußigen Kneipe war echt.
    »Aber du
kannst nicht wirklich Latein, oder?«
    »Nein, ich verstell mich
bloß.«
    »Wie
konjugiert man amare?«
    »Amo, amas,
amat, amamus, amatis, amant. – Aber du musst nicht etwas so Leichtes fragen.« –
Letzteres sagte ich auf Griechisch.
    »Das gibt es
doch nicht!«
    »Doch, bei
uns in Mähren.«
    Ich erzählte
ihm von den Schulen der Brüdergemeinden, von den pädagogischen Idealen unseres
Bischofs Komenský, den er vielleicht unter dem Namen Comenius kenne, vom
Unterricht, den Jungen und Mädchen gemeinsam bekämen. Die Natur, lehre Comenius
– sagte ich ihm – verfahre sicher, leicht, gründlich und rasch, und genauso
solle auch die Unterrichtung der Kinder sein. »Gefruchtet hat’s bei mir«, sagte
ich, »nur geholfen hat es mir wenig.« Ich machte keinen Hehl mehr aus meinem
Beruf. Ich erzählte von unserer Werkstatt, von Pirna, von Quedlinburg. Ich ließ
nur die Kompanie auf dem Münzenberg aus, nach der ich weder laufen noch sitzen
konnte. Dabei musste ich ziemlich laut sprechen.
    Ein Pärchen,
der Mann mit einem Dudelsack und die Frau mit einer Schellentrommel, waren hereingekommen
und hatten, während Una auf der Ofenbank einen pockennarbigen Hauptmann
bespielte, den Lärm zu rhythmischem Spektakel gesteigert.
    Valentin kannte Comenius.
Valentin wusste sogar, dass dieser, was ich zum ersten Mal hörte, als
Zweiundzwanzigjähriger zu Fuß von Heidelberg nach Mähren gewandert war, weil er
das Reisegeld lieber für ein Buch von Johannes Kepler ausgab.
    »So ein Narr
bin ich auch«, sagte er.
    Auf eine Bleibe hatte ich
damals nicht zu hoffen gewagt, nur auf etwas zu essen für mein Kind, auf eine
Nacht in einem richtigen Bett und – zu meiner Überraschung – auch auf ein
Gespräch,
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