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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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wenn der Rat kein Geld mehr
wolle, sagte Peter, dann sei es ernst.
    Und da, das
weiß ich, waren die Fliegen schon da. Wimmelten sie hinter Fenstern von
Häusern, umschwärmten sie, was sich bewegte, schissen sie auf die im
Folio-Format und mit schlechten Lettern gedruckte »Infektions-Ordnung«, die ein
Stadtdiener nun überall annageln musste.
    O doch, man wusste von Kobers
Ernennung.
    »Joachim
Kober? Der mit dem Unstern?«
    Denn der Komet über Kobers
Hochzeit war nicht vergessen. Hatte man ihm nicht nachgesagt, Krieg, Seuchen,
Hungersnot, Königstod und Katzensterben zu prophezeien? Und alles, alles war
eingetroffen. Auch die Hungersnot, denn nur in den ersten Kriegsjahren gingen
die Bauern noch auf die Felder. Trugen sie Waffen beim Pflügen, ließen sie von
Kirchtürmen Feldwachen spähen, hielten sie feuchtes Stroh oder Himbeerranken
bereit, um beim Nahen von Kriegsvolk durch Rauchsignale ihre Nachbarn zu
warnen. Aber bald gab es manche Nachbardörfer nicht mehr. Es gab die
Mansfelder, die Wallensteiner, des Landesherrn eigene Truppen. Es gab Oberst
Grammen und Hauptmann Milatz. Es gab das Klitzing’sche, das Altringische, das
Goldstein’sche, das Borgsdorf’sche Regiment. Es war egal, wer das Regiment
führte. Die Folgen waren immer dieselben.
    Von
Ziemendorf, erzählten die letzten der Flüchtlinge, die noch hinter Pritzwalks
Mauern gelangten, sei schon nichts mehr zu sehen. Kletten und Nesseln wüchsen
auf Trümmern. Gestrüpp setze sich über die Äcker. Holzungen sprössen in Wiesen
auf. Die Wildnis zu durchwandern sei gefährlich, denn streunende Hunde schlössen
sich zu Rudeln zusammen und machten gemeinsam auf Lebendiges Jagd.
    Alles, alles
war eingetroffen. Auch das Katzensterben, denn man hatte längst alle Katzen
gegessen.
    Und Valentin
hatte ja recht: Je größer der Hunger in der Stadt wurde, desto üppiger blühten
die Fressfantasien.
    Kobers
Hochzeit war in der Erinnerung der Leute längst zu einer Festlichkeit von
mythischem Ausmaß geworden. Immer größer wurde die Anzahl der Gäste, immer
zahlreicher und erlesener wurden die inzwischen längst von jedermann genossenen
Speisen. Leute, die schon ihres Standes wegen nicht dabei gewesen sein konnten,
hatten damals den größten Fraß ihres Lebens getan. Andere, die damals noch
Kinder waren, wollten noch bis zum Morgengrauen Kober und Judith mit
Bieraussaufen beschwerlich gewesen sein. Wieder andere, die Fremden, winkten
nur ab. Das sei doch noch gar nichts! Sie, in ihren Dörfern, in ihren Städten,
hatten noch ganz andere Feste mit fetteren Schweinen, größeren Ochsen und
dümmeren Gänsen, natürlich besser gewürzt und gebraten, erlebt.
    Ich kannte das. Immer schlägt
ein Pendel in beide Richtungen gleich weit.
    Weiber, die
seit Wochen schon nichts weiter als Melde und Brennnesseln kochten, sprachen
von Spargel und Artischockensalat. Männer, die Dohlen und Spatzen fingen,
stritten sich um die Glasur eines Spanferkelbratens. Kinder mit vom Hunger
aufgetriebenen Bäuchen prahlten voreinander mit den Marzipanäpfeln, die ihre
Eltern angeblich aßen!
     
     
    Das hatte
Valentin auf der Beratung auch gesagt, sagte er mir. Nachdem er der Erste
gewesen sei. Judith habe ihn selbst eingelassen. Sie habe ihn mit sich gezogen,
in den Gang, der zur Küche führt, »Hier, steckt das schnell weg. Das braucht
niemand zu wissen«, und hatte dann an ihn eine Bitte.
    »Valentin,
ich hab an Euch eine Bitte.«
    Es ging um ihre
Kräuterbücher. Sie brauchte sie, wenigstens zwei oder drei davon. Sie war
seinerzeit, an jenem Vormittag, an dem die Bibliothek in das Rathausgewölbe
»ausgelagert« worden war, bei Benígna gewesen und Valentin in der Schule. Jenne
und Ulla hatten sich nicht ausgekannt, sondern noch mitgeholfen, alle Bücher
wie Rüben auf den Wagen zu werfen. Alle Bücher, auch ihre privaten.
    »Ich hatte
Euch nie damit behelligen wollen. Wir haben in diesen Zeiten alle andere Sorgen.
Und wenn Ihr mir den Schlüssel gebt, such ich mir die Bücher auch selbst.«
    »Nein, nein,
ich mach das schon. Den ›Phytobasanus‹ braucht Ihr und was war das andere?«
    »Matthiolus.
Und vielleicht auch noch, falls Ihr ihn zufällig sähet, den ›Hortulus sanitatis‹
von Durante.«
    Die Bücher
lagen auf dem feuchten Ziegelfußboden. Es war schwer, dort ohne Regale Ordnung
zu schaffen. Valentin hatte sie notdürftig gestapelt, aber außer ihm kannte
sich niemand dort aus.
    »Ich würde
Euch nicht belästigen, aber…« Sie beeilte sich, zu versichern, es
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