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Die Hitze der Hölle

Die Hitze der Hölle

Titel: Die Hitze der Hölle
Autoren: Paul C. Doherty
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sein mußte. Es war stark vergilbt, und nur schwache Umrisse waren darauf zu erkennen. Der Großmeister stellte zwei Kerzen daneben auf. Das Bild war jetzt besser zu sehen. Er kniete neben Corbett nieder.
    »Schaut, Sir Hugh«, flüsterte de Molay, »schaut und betet an.«
    Corbett blickte auf das Tuch. Um ihn herum verschwand alles, seine beiden Begleiter und das Zimmer. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Lichtverhältnisse. Plötzlich setzte sein Herz einen Schlag aus, und ihm brach der Schweiß aus. Das Bild, wie mit einer rostroten Farbe gemalt, zeigte ein Haupt mit einer Dornenkrone. Die Augen waren geschlossen, die Haare blutverklebt. Sie umrahmten ein langes Gesicht. Die Nase war spitz, wie es die von Toten immer sind. Die vollen Lippen waren leicht geöffnet, die Wangen zeigten Spuren von Mißhandlungen. De Molay und Branquier beugten sich vor und berührten mit der Stirn den Boden. Dann sagten sie: »Wir beten Dich an, Christus, und wir loben Dich, denn durch Dein heiliges Kreuz hast Du die Welt erlöst.«
    Corbett war sprachlos. Das Bild war lebensecht. Wenn er die Hand ausstreckte und es berührte, würde sich der Kopf vermutlich bewegen, er würde zum Leben erwachen, und die Augen würden sich öffnen.
    »Ist das...?« flüsterte er und erinnerte sich an die Geschichten und Legenden über das heilige Tuch, das einmal das Gesicht des gekreuzigten Jesus bedeckt hatte. Einige behaupteten, es befände sich in Lucca in Italien, andere wiederum in Rom, Köln oder Jerusalem. De Molay erhob sich. Er ließ Corbett noch einen Augenblick in der Betrachtung verweilen, trat dann vor, löschte die Kerzen und bedeckte das geisterhafte Antlitz wieder mit dem Gobelin. Danach setzte er sich Corbett gegenüber auf das Podium.
    »Es ist, was Ihr denkt«, murmelte er. »Das heilige Schweißtuch Christi, das Tuch, mit dem Josef aus Arimathäa und Nikodemus das Antlitz Christi im Grab bedeckt haben. Die Züge des Gesichts zeichneten sich darauf ab. Es war jahrhundertelang verschollen, aber als Konstantinopel 1204 geplündert wurde, kam es in den Besitz unseres Ordens.« Er machte eine Handbewegung. »Wir beten es mitten in der Nacht an. Hier liegt der Ursprung aller unzusammenhängenden Gerüchte, daß die Templer die Köpfe von Toten verehren und sich geheimen Ritualen hingeben. Das ist unser großes Geheimnis, und Philipp von Frankreich würde sich dieses Geheimnisses gerne bemächtigen.«
    Corbett setzte sich auf den Boden und nickte. Jeder König würde ein Vermögen dafür geben. Besäße Philipp das Schweißtuch, dann würde dieses seiner Herrschaft zusätzliche Autorität verleihen. Wenn die Umstände das erforderten, könnte er es auch für eine unglaublich hohe Summe verkaufen. Die gesamte Christenheit würde sich darum reißen.
    De Molay half Corbett wieder auf die Beine.
    »Nur ausgewählten Mitgliedern des Ordens wird dieser Anblick zuteil«, erklärte er. »Geht jetzt, Sir Hugh, aber sagt nie ein Sterbenswort über das, was Ihr hier gesehen habt.«
    Corbett stand auf und verließ die kleine geheimnisvolle Kapelle. Er kehrte in sein Zimmer im Gästehaus zurück. Maltote schlief bereits, aber Ranulf war begierig darauf, seinem Herrn zu gratulieren und ihn mit Fragen über das Vorgefallene zu löchern. Corbett schüttelte jedoch nur den Kopf, zog seine Stiefel aus, hüllte sich in seinen Mantel und legte sich aufs Bett.
    »Ihr werdet mir das doch erzählen können, Herr«, winselte Ranulf.
    Corbett richtete sich halb auf dem Ellbogen auf. »Ich sage nur eins, Ranulf, und du darfst mich dann nie wieder fragen. Ich bin ein sturer Mensch, das weißt du. In einer Nacht habe ich in das Herz des Bösen geblickt und den Ursprung des Lichtes geschaut. Ich habe einen Blick in den Himmel und in die Hölle geworfen.«
    Ranulfs halblaute Verwünschungen in den Ohren, legte er sich wieder hin und hoffte, daß es bald hell werden würde, damit er seine Angelegenheiten zu einem Ende bringen konnte.
    Am nächsten Morgen stand er zusammen mit Ranulf und Maltote vor dem Hauptportal des Herrenhauses. Die Sonne war noch nicht durch den dichten Nebel gedrungen, der über den Bäumen hing, sich unheimlich in der scharfen kalten Brise bewegte und dem Park ein geisterhaftes Aussehen verlieh. De Molay hatte angeordnet, daß sich die Templer vollzählig versammelten. Sie standen um ein roh zusammengezimmertes Podium herum, auf dem sich ein großer Klotz befand, an dem eine Doppelaxt lehnte. Auf der anderen Seite des Klotzes war ein
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