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Die Herrin von Sainte Claire

Die Herrin von Sainte Claire

Titel: Die Herrin von Sainte Claire
Autoren: Emily Carmichael
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Nordmann grunzte und rollte sich zur Seite, dabei öffnete er vorsichtig ein Auge. »Warum?« krächzte er.
    »Weil du bei Morgengrauen das Kommando übernehmen wirst.« Das breite Grinsen auf dem Gesicht des jüngeren Mannes war entschieden boshaft.
    »Und was, zum Henker, wirst du bei Morgengrauen anstellen?« Sihtric knurrte vor sich hin und setzte sich benommen auf.
    »Ich werd’ im Bergfried sein.«
    »Was du nicht sagst. Und wie willst du das, zum Teufel, anstellen? Dich durch den engen Toilettenschaft voller Unrat zwängen? Ich vermute, du bist dazu etwas zu breit.«
    Rorik lachte leise vor sich hin, und seine weißen Zähne blitzten kurz in der Dunkelheit auf. »Den habe ich versperren lassen. Es gibt einen Gang unterhalb des Bergfrieds, den niemand anderer als ich kenne. Mein Urgroßvater hat ihn erbauen lassen, als ihm die Festung übertragen wurde. Nur dem Ältesten wurde dies weitergesagt, doch ich hab’ ihn zufällig entdeckt.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, schnaubte Sihtric. »So wie du stets in der Burg herumgeschlichen bist, als würde sie dir eines Tages gehören, obwohl du der Jüngste warst. Woher weißt du, daß Fulk oder Phillip diesen Gang noch nicht entdeckt und versperrt haben?«
    »Vielleicht haben sie das. Das werde ich ja bald herausfinden.«
    »Bleib lieber hier. Gilbert wird bis zum Morgen warten.«
    »Möglicherweise auch nicht«, erwiderte Rorik. »Jetzt hör mir gut zu …«
     
    Die gesamte Bevölkerung der Dörfer und Höfe von Brix im Burghof zu versammeln, schien ein gemütlicher Tagesausflug im Vergleich zu dem Unternehmen, die gleiche Menge in den Bergfried einzupferchen. Kinder schrien wie am Spieß, die Erwachsenen zankten sich untereinander, Frauen jammerten, und die Männer murrten. Überall befanden sich Krieger, Bogenschützen hockten vor den Schießscharten, Pikeniere bewachten jeden Eingang. Die Luft war heiß und mit dem Geruch von vielen zusammengedrängten Leibern in drangvoller Enge geschwängert. Es herrschte beständiger Lärm, die meisten Gemüter waren überreizt. Während sich Alaine zwischen ihren übellaunigen Leuten einen Weg bahnte, geriet sie beinahe selbst aus der Fassung.
    Alaine legte sich aufs Strohlager, das ihr als Bett diente. Sie dachte an die unzähligen Lagerfeuer, die die Mauern von Brix umringten wie die dämonischen Spiegelungen der Sterne am Himmel. Sie war von Feinden umgeben, eingeschlossen von Kräften, die bei der erstbesten Gelegenheit sie vernichten würden, noch ehe sie richtig gelebt hatte. Schmerzlich kam Rorik ihr in den Sinn. Vielleicht war er immer noch auf Brionne. Vielleicht hatten weder ihre Boten noch der Mann, den Guillaume gesandt hatte, Gilberts Netz passieren können.
    Das Kind in ihr bewegte sich unruhig. Sie legte eine Hand auf ihren gewölbten Bauch. Kein Wunder, daß es sich bei der innerlichen Unruhe der Mutter erregte. Armes Kind, das in eine Welt bedrohliche Unsicherheit geboren wurde. Würde es je den Mann kennenlernen, der es gezeugt hat? Würde es mehr als ein paar Wochen armseligen Lebens fristen können?
    Verbissen schloß sie die Augen. Sie würde versuchen zu schlafen. Sie brauchte ihre ganze Kraft für den morgigen Tag. Endlich kam der Schlaf über sie, doch brachte er nicht die Erquickung, die sie sich erhofft hatte. Bilder aus der Vergangenheit bestürmten sie in ihren Träumen. Wieder sah sie Gilbert in den Saal von Ste. Claire stolzieren. Er drohte ihre Leute unterschiedslos mit dem Schwert hinzumetzeln, bis sie seinem Werben nachgab. Dann kniete er neben ihr in der Burgkapelle. Doch die schwarzgewandete Gestalt vor ihnen war nicht der tapfere kleine Pater Sebastian, der mutig die Zeremonie verzögert hatte. Statt dessen ragte ein schwarzgeflügelter, teuflischer Dämon über ihnen. Er sprach die schrecklichen Worte, die sie dem Eroberer aushändigte. Dann verschränkte er ihre Hände ineinander und legte seine dunklen Krallen darauf. Eisige Blitze der Furcht und der Abscheu durchzuckten ihren Körper. Der Dämon lachte auf. Und Gilbert fiel in sein Lachen mit dem gleichen gellenden, gespenstischen Klang ein. Ihr Lachen spitzte sich zu einem Schrei zu. Doch nein, der Schrei erscholl vom Türbogen der Burgkapelle. Gunnor stand dort mit weit aufgerissenen Augen, ihre Haare fielen in einem Wirrwarr auf die Schultern.
    »Alaine«, schrie sie. »Alaine. Er gehört mir! Mich liebt er! Mich!«
    Alaine wollte sich hochkämpfen, die Hände aus den Krallen wegreißen, die sie umklammert hielten. Doch
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