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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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meldete mich in der Offiziersschule an, die dem Palast angegliedert war. So kam es, daß ich an einem stillen, warmen Abend im Monat Thots, des Gottes der Weisheit, zu dem kleinen Tempel des Kriegsgotts Wepwawet ging, hinter mir das Dorf, rechter Hand den sacht plätschernden Nil und linker Hand braun und gefurcht die kleinen, abgeernteten Felder der Bauern.
    In Wahrheit war ich neugierig auf das Innere des Tempels. Das einzige Bindeglied zu meinen richtigen Eltern war eine Holzstatuette von Wepwawet. Solange ich zurückdenken konnte, hatte sie auf dem Tisch neben meinem Bett gestanden. Und wenn ich als Kind einmal unglücklich war, hatte ich das glatte, gerundete Holz gestreichelt, war wütend vor ihr auf und ab gegangen, wenn mein beklagenswert hitziges Temperament mit mir durchgegangen war, und war Nacht für Nacht beim Schein einer Lampe eingeschlafen, die die lange Wolfsnase und die spitzen Ohren des Gottes beleuchtet hatte. Ich wiegte mich in dem trügerischen Glauben, meine wahre Mutter hätte ihn zu meinem Wächter bestellt, und weder Menschen noch Dämonen könnten mir etwas anhaben, solange Wepwawet den festen Blick in die dämmrigen Winkel meines Zimmers richtete. Handwerklich war die Statuette schlicht, jedoch einfühlsam gearbeitet; die Hand, die Speer und Schwert geformt, die sorgfältig die Hieroglyphen „Der Wegbereiter“ quer über die Brust des Gottes geschnitzt hatte, war ebenso gottesfürchtig wie kundig gewesen, davon war ich überzeugt. Wer hatte sie gemacht? Meine Pflegemutter wußte es nicht und sagte, ich solle mir das Herz nicht mit nutzlosen Phantastereien schwer machen. Mein Vater sagte, daß die Statuette in meine Leinenwindeln eingewickelt gewesen war, als man mich als Säugling in seinem Haus ablieferte. Ich bezweifelte, daß einer meiner geheimnisvollen Elternteile selbst mit Messer und Holz gewirkt hatte. Hochrangige Offiziere befaßten sich nicht mit handwerklichen Arbeiten, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, daß eine Frau einen Kriegsgott schnitzte. Genauso wenig konnte ich mir vorstellen, daß die Statuette aus dem armseligen Dorf Aswat stammte. Montu war der mächtigste Kriegsgott, aber auch Wepwawet wurde in ganz Ägypten verehrt, und am Ende siegte die Vernunft, ich sagte mir, mein toter Vater, der Soldat, hat die Statuette für seinen häuslichen Schrein gekauft. Wenn ich den Gott zuweilen berührte, dachte ich an diese anderen Hände, die Hände, die ihn geschaffen hatten, die Hände meines Vaters, die Hände meiner Mutter, und malte mir aus, daß ich durch Berührung der geölten Holzpatina mit ihnen verbunden wäre. An diesem beschaulichen Abend bot sich mir nun unerwartet die Gelegenheit, das Haus des Gottes zu betreten und in seinem eigenen Tempel zu ihm zu beten. Ich umschritt das Ende des Kanals, überquerte den kleinen Vorhof und trat durch seinen Pylon.
    Im Außenhof sammelten sich schon die abendlichen Schatten, die Pflastersteine waren unter meinen Füßen kaum zu erkennen, die schlichten Säulen zu beiden Seiten hüllten sich in zunehmende Dunkelheit, nur ihre Bekrönungen leuchteten noch im letzten Abendsonnenschein. Als ich mich der Flügeltür näherte, die zum Innenhof führte, bückte ich mich, schnürte meine Sandalen auf, zog sie aus, hob die Hand und wollte die Tür aufstoßen, als mich eine Stimme innehalten ließ.
    „Die Tür ist verschlossen.“
    Erschrocken drehte ich mich um. Eine Frau war aus dem Schutz einer Säule getreten und wollte gerade einen Eimer auf deren Sockel absetzen. Sie warf einen Lappen hinterher, stemmte eine Hand ins Kreuz, reckte sich und kam dann schlanken Schrittes auf mich zu. „Der amtierende Priester verschließt die Tür gegen Sonnenuntergang“, fuhr sie fort. „So ist es hier Sitte. Abends kommen nur wenige Leute aus dem Dorf zum Beten. Dafür arbeiten sie während des Tages zu hart.“ Sie sprach so ungezwungen, als hätte sie ebendiese Erklärung viele Male abgegeben und nähme mich nur teilweise wahr, dennoch bemerkte ich, daß sie mich eingehend musterte. Sie sprach die Worte nicht so harsch wie die ägyptischen Bauern, sondern deutlich, akzentuiert und sehr melodiös. Doch ihre nackten Füße waren rau und unförmig, ihre Hände schwielig und die Fingernägel schwarz und abgebrochen. Sie trug das formlose Kleid einer Fellachin, ein grobes Trägerkleid, das ihr bis zu den Knien reichte und von einem Hanfseil gehalten wurde, und mit Hanf hatte sie auch ihr drahtiges schwarzes Haar zurückgebunden. Zwei
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