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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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klare, kluge Augen beherrschten ein sonnenverbranntes braunes Gesicht, und die waren erstaunlicherweise durchscheinend hellblau. Als ich in sie hineinblickte, wollte ich meinen Blick sofort niederschlagen, doch diese Regung ärgerte mich. Ich war ein junger Offizier aus der Königsstadt. Und der wich vor Bauern nicht zurück.
    „Ach so“, erwiderte ich barscher, als ich vorgehabt hatte, und wandte meine Aufmerksamkeit der unansehnlichen Flügeltür des Tempels zu, was hoffentlich ungezwungen und selbstbewußt wirkte. „Dann suche mir einen Priester, daß er die Tür aufschließt. Ich bewache einen königlichen Herold. Wir haben auf dem Heimweg ins Delta in eurem Dorf festgemacht, und ich möchte meine Andacht vor meinem Schutzgott verrichten, solange noch Gelegenheit dazu ist.“ Sie verbeugte sich nicht und zog sich auch nicht zurück, wie ich es erwartet hatte, ja, sie trat noch näher und kniff die sonderbaren Augen zusammen.
    „Ach“, sagte sie scharf. „Wie lautet der Name des Herolds?“
    „Er heißt May“, erklärte ich und merkte, wie ihr Interesse jählings erlosch. „Holst du nun einen Priester?“
    Sie musterte mich, registrierte die Uniformsandalen in meiner Hand, den Ledergürtel, an dem mein Kurzschwert hing, das Leinenkopftuch und das Band um meinen Oberarm, auf dem mein Rang stand und auf das ich so stolz war. Ich hätte schwören können, daß sie nur einen Augenblick brauchte, um meine Stellung, mein Alter und die Grenzen meiner Macht, ihr zu befehlen, zu taxieren. „Wohl kaum“, sagte sie honigsüß. „Er ist in seiner Zelle und genießt sein Nachtmahl, und dabei möchte ich ihn nicht stören. Hast du ein Geschenk für Wepwawet mitgebracht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Dann wäre es bessern, wenn du bei Sonnenaufgang, ehe du aufbrichst, zurückkommst und betest, wenn der Priester seinen Dienst antritt.“ Sie wandte sich ab, wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um. „Ich bin nur die Dienerin der Gottesdiener“, erläuterte sie. „Darum kann ich dir die Tür nicht aufschließen. Aber ich kann dir Erfrischungen bringen, Bier und Kuchen oder vielleicht ein Mahl. Es gehört zu meinen Pflichten, mich um die Bedürfnisse derer zu kümmern, die im Dienst des Pharaos reisen. Wo habt ihr festgemacht?“ Ich bedankte mich, erzählte ihr, wo unser Boot lag, und dann sah ich zu, wie sie den Eimer nahm und in der Abenddämmerung davonging. Sie hielt sich so königlich wie meine ältere Schwester, die von unserer Kinderfrau in richtigem Benehmen unterwiesen worden war, und die hatten meine Eltern aus dem königlichen Harem in unsere Dienste abgeworben. Mit einem leisen Gefühl der Unterlegenheit blickte ich hinter ihr her. Dann zog ich mir verärgert die Sandalen an und machte mich auf den Rückweg zum Boot.
    Ich fand meinen Herold auf seinem Klappstuhl sitzend, wie er übellaunig in das Feuer starrte, das die Ruderer entzündet hatten. Diese wiederum hockten in einiger Entfernung im Sand und unterhielten sich leise. Unser Boot war jetzt nur noch ein großer, dunkler Fleck vor dem verblassenden Himmel, und das Wasser, das sacht an seinen Rumpf plätscherte, hatte jegliche Farbe verloren. Als ich näher kam, blickte er hoch.
    „Vermutlich haben wir in diesem Hundeloch kein Glück mit einem anständigen Mahl“, begrüßte er mich müde. „Ich könnte einen Ruderer zum Bürgermeister schicken und etwas anfordern, aber die Aussicht, von gaffenden Dörflern umringt zu werden, ist mir heute Abend zuwider. Unsere Vorräte gehen zur Neige. Wir werden uns mit Fladen und getrockneten Feigen begnügen müssen.“ Ich hockte mich neben ihn und blickte ins Feuer. Er würde essen und sich zum Schlafen in die Kabine auf dem Boot zurückziehen, doch ich und mein Untergebener, ein Soldat, würden uns bei der Wache ablösen, während er schnarchte. Auch ich war das nichtssagende Essen leid, hatte die vielen mit Langeweile und Unbequemlichkeit auf dem Fluß totgeschlagenen Stunden und zu viele Nächte mit gestörtem Schlaf satt, doch noch war ich jung und meine Arbeit daher aufregend, und ich war stolz auf die Verantwortung, die ich trug, wenn ich gegen Morgen, gähnend auf meinen Speer gestützt, dastand und sich nichts rührte als der Wind in dem kärglichen Gras längs des Nils und über mir die Sternbilder funkelten.
    „In ein paar Tagen sind wir daheim“, antwortete ich. „Aber wenigstens ist die Reise ohne Zwischenfälle verlaufen. Im Tempel habe ich eine Frau getroffen, die uns Bier und Essen
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