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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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meiner Familie und meiner Verlobten, Takhuru. Ich hatte meinen ersten militärischen Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Ich war gesund und kräftig, reich und intelligent. Dennoch wurde mir, als ich dort lag, immer ruheloser und bedrückter zumute. Als ich mich auf die andere Seite drehte, kam mir der Sand härter als gewöhnlich vor, knirschend rieb er sich an Hüfte und Schulter. Mein Soldat näherte sich und schlenderte wieder davon. Ich drehte mich auf die andere Seite, doch es nutzte nichts. Mein Kopf blieb wach.
    Also stand ich auf, band mir das Schwert um und schritt durch die Bäume zum Weg am Fluß. Er lag verlassen, ein graues Band, gesäumt von schattenspendenden Palmen und Akazien. Ich zögerte, hatte jedoch keine Lust, mir das Dorf anzusehen, das sich kaum von tausend anderen zwischen dem Delta und den Katarakten im Süden unterscheiden würde. Also wandte ich mich nach rechts. Ich kam mir zunehmend wesenloser vor, als die vom Mondschein umflossenen, dunklen Umrisse des Tempels vor mir auftauchten, während die Palmwedel über mir ihren trockenen Nachtgesang raschelten.
    Schwarz und reglos stand das Wasser im Kanal. Ich blieb kurz an dem gepflasterten Rand stehen und starrte mein verschwommenes, blasses Spiegelbild an. Zum Fluß wollte ich nicht zurück, also wandte ich mich nach links und schritt die Tempelmauer ab. Dabei mußte ich um eine baufällige Hütte herumgehen, die sich hinten an den Tempel lehnte, und dann wellte sich vor mir bis zum Horizont die mondbeschienene Wüste. Eine Palmenreihe kennzeichnete den Saum von Aswats spärlichem Ackerland und schlängelte sich rechter Hand in die Ferne, ein schwaches Bollwerk gegen den Sand, und das Ganze matt, aber deutlich im alles erhellenden Schein des Mondes.
    Zuerst bemerkte ich sie gar nicht, bis sie dann aus dem tiefen Schatten einer Düne auftauchte und über den Sand glitt. Nackt, die Arme hoch erhoben, den Kopf zurückgeworfen, hielt ich sie für eine der Toten, um deren Grab sich niemand kümmerte, die durch die Nacht irrten und sich an den Lebendigen rächen wollten. Doch sie tanzte so lebendig, daß mein Grauen nachließ. Ihr angespannter, geschmeidiger Leib wirkte so grellweiß wie der Mond selbst, und ihr Haar war eine schwarze Wolke, die sich mit ihr bewegte. Mir war klar, daß ich mich lieber zurückziehen sollte, daß ich eine sehr persönliche Ekstase miterlebte, doch ich stand wie festgewurzelt am Fleck, die wilde Harmonie des Ganzen nahm mich gefangen. Die riesige, in kaltes Mondlicht getauchte Wüste und die leidenschaftliche Huldigung oder Buße oder feurige Lust der Tänzerin hatten mich in ihren Bann geschlagen.
    So merkte ich erst, daß sie nicht mehr tanzte, als sie auf einmal stillstand, die geballten Fäuste zum Himmel hob und dann in sich zusammensank. Als sie sich näherte, konnte ich ihren hängenden Schultern die Verzweiflung ansehen. Sie bückte sich, hob ein Kleidungsstück auf und kam rasch näher.
    Eilig machte ich kehrt, doch mein Fuß verhakte sich hinter einem losen Stein, ich stolperte und fiel gegen die raue Mauer ihrer Hütte, in deren Schatten ich mich versteckt hatte. Ich muß wohl aufgestöhnt haben, als mir der Schmerz in den Ellenbogen schoß, denn sie blieb stehen, hüllte sich in das Leinentuch, das sie in der Hand hatte, und rief: „Pa-ari, bist du das?“ Sie hatte mich ertappt.
    Leise fluchend trat ich in den Mondschein und vor die Irre. In dem unwirklichen Licht, das uns umgab, schienen ihre Augen farblos zu sein, doch die Gestalt war unverkennbar. Auf ihrer Stirn klebten feuchte Haarsträhnen. Schweiß rann ihr an den Schläfen herunter. Sie keuchte ein wenig, ihre Brust hob und senkte sich unter den Händen, die den Umhang hielten. Lange ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Ihre Miene war bereits wieder beherrscht.
    „Du bist es, Kamen, der junge Offizier“, sagte sie mit belegter Stimme. „Kamen, der Spion, der seine Pflichten als Wachtposten des hochmächtigen Herolds May vernachlässigt, welcher zweifellos in seliger Unkenntnis an Bord seines sicheren kleinen Bootes schnarcht. Bringt man den jungen Rekruten an der Militärschule von Pi-Ramses heutzutage bei, wie man unschuldige Frauen bespitzelt?“
    „Ganz gewiß nicht!“ gab ich zurück, denn das Erlebnis hatte mich verwirrt, und ihr Ton war verletzend. „Und seit wann tanzen ehrbare ägyptische Frauen nackt im Mondschein, es sei denn, sie sind...“
    „Sind was?“ fragte sie zurück. Sie atmete jetzt wieder regelmäßig.
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