Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
Worten lächelte die Frau. Ihre Lippen öffneten sich und zeigten gleichmäßige weiße Zähne, die im Feuerschein glänzten, und auf einmal ging mir auf, daß sie schön war. Das dämmrige Licht verbarg ihre rauen Hände, die feinen Fältchen um die sonderbaren Augen, ihr glanzloses, trockenes, wildes Haar, und einen Augenblick lang starrte ich sie unverfroren an. Ihr Blick ruhte auf mir und kehrte dann zu meinem Gebieter zurück.
    „Wir sind uns schon begegnet, Herold May“, sagte sie leise. „Du und dein Gefolge, ihr habt hier im vergangenen Jahr angelegt, als dein Boot ein Leck hatte. Was gibt es Neues aus dem Delta?“
    „Nichts Neues“, antwortete May steif. „Ich komme aus dem Süden und will nach Pi-Ramses zurück. Ich bin mehrere Wochen fortgewesen.“ Ihr Lächeln wurde breiter.
    „Und natürlich kann sich während deiner Abwesenheit im Norden Umwälzendes ereignet haben“, schalt sie ihn mit gespieltem Ernst. „Darum hast du keine Neuigkeiten. Oder möchtest du mich nur nicht zu einer Unterhaltung ermutigen? Ich habe dich beköstigt, königlicher Herold May. Könnte ich nicht als Dankeschön hier im Sand sitzen und ein Weilchen deine Gesellschaft genießen?“ Sie wartete nicht auf Erlaubnis, sondern ließ sich nieder, kreuzte die Beine und zog sich das Trägerkleid über dem Schoß zurecht, und das erinnerte mich an den Schreiber im Haushalt meines Vaters, wenn der sich mit genau den gleichen Bewegungen auf den Boden setzte und die Palette auf die Knie legte, um ein Diktat aufzunehmen.
    „Weib, ich habe dir nichts zu sagen!“ fuhr May sie an. „Das Essen hat uns sehr gut getan, und dafür habe ich mich bereits bedankt. In Pi-Ramses geschieht nichts, was für jemanden wie dich auch nur von leisestem Interesse wäre, das kannst du mir glauben.“
    „Ich habe ihn in Verlegenheit gebracht“, sagte sie an mich gewandt. „Diesen mächtigen Herold. Ich bringe sie alle in Verlegenheit, diese bedeutenden Männer, die den Fluß hinauf- und hinuntereilen und fluchen, wenn es sie an Aswats unfruchtbares Ufer verschlägt, weil sie wissen, daß ich sie sofort aufsuche. Sie scheinen nicht zu merken, daß mir das ebenso peinlich sein könnte. Aber du, mein junger Offizier mit den schönen, dunklen Augen, dich habe ich noch nicht kennen gelernt. Wie heißt du?“
    „Kamen“, antwortete ich und bekam es jählings mit der Angst zu tun, sie könnte ihre verrückte Bitte an mich richten, ein Gedanke, für den ich mich schämte. Verstohlen blickte ich meinen Herold an.
    „Kamen“, wiederholte sie. „Mens Ka, also Mens Seele. Vermutlich heißt dein Vater Men?“
    „So ist es“, sagte ich kurz angebunden. „Und du machst dich vermutlich über mich lustig. Auch ich danke dir für das Essen, aber ich muß mich um den Herold hier kümmern, und der ist müde.“ Ich stand auf. „Sei so gut, nimm dein Geschirr und geh.“ Zu meiner Erleichterung kam sie sofort hoch und nahm ihr Tablett, doch so leicht ließ sie sich nicht abschütteln.
    „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Offizier Kamen“, sagte sie. „Ich habe ein Paket, das dem König überbracht werden muß. Ich bin arm und kann nicht dafür zahlen. Nimmst du es mit?“ O ihr Götter, dachte ich verzweifelt. Ich schämte mich für sie, als ich den Kopf schüttelte.
    „Tut mir leid, Herrin, aber ich habe keinen Zutritt zum Palast“, erwiderte ich, und da seufzte sie und wandte sich ab.
    „Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet“, rief sie über die Schulter zurück. „Was ist aus Ägypten geworden, wenn die Mächtigen nicht mehr auf das Flehen der Elenden hören? Dich, Herold May, frage ich erst gar nicht, du hast es mir schon einmal abgeschlagen. Schlaft gut!“ Ihr verächtliches Lachen verklang, dann herrschte Stille.
    „Eine hirnlose Kreatur!“ sagte mein Gebieter knapp. „Kamen, stell die Wache auf.“ Er schritt in Richtung Boot davon, ich winkte meinen Soldaten herbei und warf Sand auf das Feuer. Das Essen lag mir schwer im Magen.
    Ich übernahm die zweite Wache, wies dem Soldaten seinen Wachbereich zu und zog mich mit meiner Decke unter die Bäume zurück, doch an Schlaf war nicht zu denken. Das Gemurmel der Ruderer erstarb allmählich. Aus dem Dorf war kein Laut zu hören, und nur ein gelegentliches gedämpftes Plätschern kündete vom Strom, an dem ein Nachttier verstohlen sein Unwesen trieb. Am Himmel über mir funkelten die Sterne durch das Geäst der Bäume.
    Ich hätte zufrieden sein können. Ich war auf dem Heimweg zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher