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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu
Autoren: Pauline Gedge
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„Wahnsinnig? Irre? Oh, ich weiß, was alle denken. Aber das hier“, und sie deutete auf die Hütte, „ist mein Heim. Das hier“, und sie deutete mit dem Kopf, „ist meine Wüste. Und das da ist mein Mond. Ich habe keine Angst vor spähenden Blicken. Ich tue niemandem etwas zuleide.“
    „Dann ist der Mond also dein Schutzgott?“ fragte ich, denn ich schämte mich bereits für meinen Ausfall, und sie lachte bitter.
    „Nein. Der Mond ist mein Verderben gewesen. Ich tanze aus Trotz unter Thots Strahlen. Macht mich das zu einer Irren, junger Kamen?“
    „Ich weiß es nicht, Herrin.“
    „Du hast mich heute Abend schon einmal Herrin genannt. Das war freundlich. Diesen Titel habe ich tatsächlich einst geführt. Glaubst du mir?“ Ich sah ihr fest in die verschatteten Augen.
    „Nein.“
    Sie lächelte, und ich bemerkte in ihren Augen ein inneres Feuer, bei dem mich eine abergläubische Furcht ergriff, doch dann fühlte ich ihre Finger warm und gebieterisch auf meinem Arm. „Du hast dir den Ellenbogen aufgeschrammt. Setz dich. Warte hier.“ Ich gehorchte, und sie verschwand in der Hütte und kam im Nu mit einem Tonkrug zurück. Sie hockte sich neben mich, nahm den Deckel ab, ergriff meinen Ellenbogen und salbte die kleine Wunde behutsam. „Honig und zerstoßene Myrrhe“, erläuterte sie. „Nun dürfte sich die Schramme nicht entzünden, aber falls doch, bade sie in Saft von Weidenblättern.“
    „Woher weißt du derlei?“
    „Ich bin früher, vor sehr langer Zeit, Heilkundige gewesen“, antwortete sie schlicht. „Man hat mir verboten, meine Kunst auszuüben. Die Myrrhe stehle ich für mich selbst aus dem Tempelvorrat.“
    „Verboten? Warum?“
    „Weil ich versucht habe, den König zu vergiften.“
    Enttäuscht blickte ich sie an. Sie saß da, hielt die Knie mit den Armen umfaßt und den Blick auf die Wüste gerichtet. Dieses seltsame, dieses überspannte Wesen durfte einfach nicht irre sein. Sie sollte geistig gesund sein, denn das hätte meine Lebenserfahrung um Unüberschaubarkeit und Aufregung der richtigen Art bereichert. Überschaubarkeit hatte mich während meiner ganzen Jugendjahre beschützt. Ich hatte mich der Geborgenheit überschaubarer Mahlzeiten, überschaubarer Bildung, der überschaubaren Zuneigung meiner Familie und der überschaubaren Festtage der Götter erfreuen können. Meine überschaubare Verlobung mit Takhuru, einer Tochter aus altem und reichem Haus, war geplant und wurde erwartet. Sogar bei diesem Auftrag hatte es keine Abenteuer gegeben, sondern nur überschaubare Pflichten und Unbequemlichkeiten. Nichts hatte mich auf rätselhafte Frauen aus Bauerndörfern vorbereitet, die wild im Mondschein tanzten, doch Irrsinn machte es zu einer verkehrten Erfahrung, einer Abweichung, die ein gesundes Gemeinwesen am besten übersah und vergaß. „Das glaube ich dir nicht“, sagte ich. „Ich wohne in Pi-Ramses. Mein Vater kennt viele Leute von Adel. Davon ist mir nie etwas zu Ohren gekommen.“ „Natürlich nicht. Auch damals haben nur wenige davon gewußt, und außerdem ist es viele Jahre her. Wie alt bist du, Kamen?“
    „Sechzehn.“
    „Sechzehn.“ Sie erschrak und streckte eine Hand aus. Die Geste war unschlüssig und sonderbar rührend. „Vor sechzehn Jahren habe ich den König geliebt und versucht, ihn umzubringen, und einen Sohn bekommen. Da war ich selbst erst siebzehn. Irgendwo in Ägypten schläft jetzt mein Sohn und weiß nicht, wer er in Wahrheit ist, aus welchem Samen er entstanden ist. Oder vielleicht ist er tot. Ich bemühe mich, nicht zuviel an ihn zu denken. Es tut zu weh.“ Sie wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zu mir. „Aber warum solltest du mir glauben, der irren Dämonin von Aswat. Manchmal fällt es mir selbst schwer, das alles zu glauben, vor allem dann, wenn ich den Tempelboden wische, noch ehe Re am Himmel aufsteigt. Erzähle mir von dir, Kamen. Führst du ein angenehmes Leben? Gehen deine Träume in Erfüllung? Wem in der Stadt dienst du?“ Ich wußte, es war besser, wenn ich zum Fluß zurückkehrte. Bald endete auch die Wache meines Soldaten. Er würde schon darauf warten, daß ich ihn ablöste, und was war, wenn es auf dem Boot zu einem Zwischenfall kam? Dennoch fesselte mich die Frau. Und das nicht durch ihren jetzt offenbaren Wahnsinn, denn ich mußte meinem Herold leider recht geben. Auch nicht durch die Widersprüche, in die sie sich verstrickte, obwohl die mich neugierig machten. Sie war eine neue Erfahrung, die mein Ka beunruhigte und
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