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Wir zwei allein - Roman

Wir zwei allein - Roman

Titel: Wir zwei allein - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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1    Am Abend versuche ich, zu Hause zu bleiben. Doch dann schalte ich den Fernseher ein. In einer Wüstenlandschaft spricht ein General, ein Kind watet mit einer Tasche auf dem Kopf durch Wasser, eine Frau in rotem Jackett steht vor einer Börsentafel.
    Ich trete unten vors Haus, es ist noch hell. Ich biege in die Guntramstraße ein, eine Ecke weiter in die Egonstraße. Durchs Fenster von Rudis Kneipe sehe ich Niko, der schon an unserem Tisch sitzt.
    Meine Oma hat immer eine geladene Flinte im Haus, erzählt er kurz darauf. Wenn Hühnerdiebe auftauchen, dann rennt sie im Schlafrock über den Hof und kreischt: Ihr beschissenen Dekabristen. Niko lacht, und sein Hoho-Lachen, groß wie ganz Russland, schwappt bis zu den Schachspielern in der hintersten Ecke. Ich linse am Aquarium vorbei, aber das Tischchen an der Tellerablage ist leer. Rudi kommt und stellt zu den Riegeler Landbieren einen Teller mit Pommes. Das Einzige von seiner Speisekarte, das er manchmal springen lässt.
    Hast du endlich deine Tochter angerufen?, frage ich.
    Morgen, sagt er.
    Als es draußen schon dunkel ist, taucht Uli auf. Er arbeitet in der Energiebranche und sitzt weit nach vorn gebeugt. Das Öl geht allmählich zur Neige, sagt er. Unsere Windräder sind die Zukunft.
    Das wissen wir schon, sagt Niko.
    Lass ihn doch ausreden, sage ich.
    Und dann kommt endlich Theres. Sie kommt ganz leise, als ob sie nur ein Luftzug von draußen wäre. Theres erscheint, anders kann man es nicht sagen. Wie oft beobachte ich die Tür, die jetzt, im Herbst, mit Decken zugehängt ist. Ich spähe hinüber, nichts passiert. Und dann steht sie da, ich spüre es eher als es zu sehen. Theres mit ihren schmalen Schultern, mit ihrem gesenkten Blick, in ihrem zu großen Mantel steht zwischen den Kartenspielern und den Fußballzuschauern, zwischen den Studenten und den Theaterleuten, und niemand blickt auf oder hält in seinem Gespräch oder Gelächter inne. Theres mit dem grünen Schal, den sie gestrickt hat für ihre Oma, die kurz vor der Fertigstellung gestorben ist. Theres, die wie ich nächstes Jahr dreißig wird und deren Haar schon graue Strähnen hat. Theres mit ihren Ideen über eine Stadt ganz aus buntem Papier, über Gemälde, die Ängste einfangen und nie mehr entlassen und ihre Besitzer ein Leben lang beschützen vor den Stimmen in ihren Köpfen. Theres mit ihrem Lachen, das hüpft wie eine Bachstelze über Steine.
    Sie setzt sich an ihren Tisch hinter dem Aquarium, und ich springe auf, umschiffe die Theaterleute, greife im Vorbeigehen nach einem Korb mit Weißbrot und stelle ihn vor Theres. Ich setze mich ihr gegenüber, und wir lächeln uns an.
    Hast du schon einmal versucht, Wolle zu essen, sagt sie, und das letzte Stück in der Hand zu behalten, so dass du nach dem Klo wie eine Perle aufgefädelt bist, bereit, jemandem um den Hals gehängt zu werden?
    Nein, sage ich.
    Ich auch nicht, sagt sie. Sie tröpfelt einen Schluck von ihrem selbstgemachten Rhabarbersirup ins Mineralwasser. Sie reißt ein Stück Weißbrot ab und steckt es sich in den Mund. Ich auch nicht.
    Theres, sage ich. Warum fahren wir nicht nach Südamerika?
    Sie lächelt.
    Wir könnten in den bolivianischen Anden wandern. Die ersten Tage würden wir keine Luft kriegen, wir würden Kopfschmerzen haben, wir müssten ständig aufs Klo. Wir könnten keine hundert Meter gehen, ohne eine Pause einzulegen. Aber dann würde es besser werden. Der Mate-Tee würde uns gesund machen. Wir würden Coca-Blätter kauen. Wir würden über den Titicacasee blicken, statt über den Titisee. Wir würden zuschauen, wie sich sein Blau im Lauf des Tages verändert. Wie er mittags glitzert und abends brennt. Warum kommst du nicht mit mir mit, Theres?, frage ich und will ihre Hand nehmen. Ich erzähle vom Dschungel im Amazonasbecken. Niemand wird uns dort finden. Es ist dort noch besser als hier bei Rudi, man verschwindet einfach. Wir könnten morgens rote Bananen und Mangos essen. Wir könnten uns in einem Fluss waschen. Wir könnten uns Pfeil und Bogen schnitzen und Tapire jagen. Wir könnten uns mit Schlamm einreiben gegen die Moskitos und die Sandfliegen. Wir könnten uns unter riesige Tellerblätter kauern, wenn es regnet. Was meinst du, Theres? Was sagst du dazu?
    Sie lächelt. Im glänzenden Schwarz ihrer Augen sind auf einmal Geheimnisse. Ach ja, sagt sie.
    Ich will ihre Hand nehmen. Ich will ihr Gesicht berühren. Theres, sage ich.
    Sie senkt den Blick. Spielt mit einem Stück Weißbrot. Ich atme aus. Und
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