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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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Schwindelanfälle wäre an Flucht nicht zu denken gewesen. Noch immer war er gefesselt. Als der Henker nach vorne blickte, sah er in die funkelnden Augen mehrerer hundert Menschen, die sich auf der Floßlände zu einer Hinrichtung ohne Prozess eingefunden hatten. Hier und da waren noch einige Wachen zu sehen, doch auch sie waren mittlerweile Teil des Publikums geworden. Nach kurzem Widerstand hatten sich die meisten Büttel zurückgezogen und die beiden Scharfrichter der schreienden Meute überlassen. Kuisl konnte von Glück reden, dass ihn die Regensburger noch nicht gesteinigt hatten.
    Wieder traf ihn ein Brocken Lehm so heftig an der Stirn, dass ihm kurz schwarz vor Augen wurde. Trotzdem gelang es Kuisl, aufrecht stehen zu bleiben und nicht in die Schlinge zu fallen. Philipp Teuber neben ihm schien der Ohnmacht nahe. Sein eigenes Gewicht zog den stämmigen Regensburger Scharfrichter zu Boden, so dass der Strick sich wie eine Garotte um seinen Hals schnürte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Teubers Augen waren geschlossen, das Gesicht kalkweiß und von aufgeplatzten Adern durchzogen, sein Mund stand wie bei einem sterbenden, nach Luft schnappenden Karpfen offen.
    »Monstrum! Monstrum!«
    Wie durch eine Wand hindurch vernahm Jakob Kuisl das Getöse der Menge. Ein brodelnder Lärm, vermischt mit hohen Schreien und schrillem Gelächter, das an und wieder ab schwoll. Der Henker blinzelte, die Sonne stach ihm in die Augen, Blut tropfte ihm von der Stirn. Trotzdem glaubte er jeden Einzelnen der Zuschauer genau wahrzunehmen.Er erkannte unter ihnen stiernackige Flößer und Zimmerer, rotzverschmierte Kinder und halbstarke Gesellen, aber auch Fischerweiber und einige feine Damen, die sich mit ihren gepuderten männlichen Begleitern im Hintergrund hielten und tuschelnd auf die zwei Gestalten unter dem provisorischen Galgen zeigten. Für sie alle waren die beiden Henker auf dem Schafott ein grandioses Schauspiel; ein Erlebnis, von dem man noch seinen Kindern und Enkeln erzählen konnte. Der Volkszorn brach sich seine Bahn und forderte Blutopfer.
    »He, Teuber!«, rief ein schmaler, pockennarbiger Bursche aus der ersten Reihe. »Wie fühlt sich die Schlinge an um deinen Hals? Hast meinen Bruder gehängt. Ich hoff, du tanzt genauso lang wie er.«
    »Es heißt, der andere soll auch ein Henker sein«, keifte eine junge Magd. »Vielleicht können sie sich ja gegenseitig aufhängen!«
    Gelächter brandete auf, und die Menge rannte an gegen die schief aufgetürmten Kisten, die jeden Augenblick umzustürzen drohten. Auf dem eilends erbauten Schafott standen neben den beiden gefesselten Scharfrichtern vier finster dreinblickende Flößer, offenbar die Rädelsführer, die nun mit wichtigtuerischer Miene die anderen davon abhielten, die Hinrichtungsstätte zu stürmen. Kuisl vermutete, dass die vier Männer es nur darauf abgesehen hatten, die Stricke, Kleider und Körper der Gehängten gleich an Ort und Stelle zu stehlen. Solch blutigen Talismanen schrieb man magische Kräfte zu, umso mehr, wenn sie von zwei hingerichteten Henkern stammten.
    »Zieht sie hoch! Zieht sie hoch!«
    Zuerst hatten nur einige wenige geschrien, doch mittlerweile war der Ruf zu einem vielstimmigen Konzert angeschwollen, das über die gesamte Floßlände schallte.
    »Ziehtsie hoch und lasst sie tanzen!«
    Plötzlich spürte Kuisl, wie die Zimmermannsgesellen anfingen, an der Kurbel zu drehen, die die beiden Stricke über eine Winde am Kran aufrollte. Das Seil spannte sich, und der Henker wurde langsam in die Höhe gehoben. Erst konnte er mit seinen Zehenspitzen noch den Boden berühren, dann hing er frei in der Luft.
    Der Strick drückte Kuisls Kehle und Adamsapfel so heftig zusammen, dass es ihm auf der Stelle die Luft abschnürte. Ohne es zu wollen, begann er mit den Beinen hin und her zu zappeln. Der Henker wusste aus eigener Erfahrung, dass der Todeskampf von Gehängten mehrere Minuten dauern konnte. Deshalb hatte er bei Hinrichtungen des Öfteren an den Füßen der armen Sünder gezogen, um ihnen so das Genick zu brechen und die Qualen zu beenden. Doch diese Gnade ließ ihm hier offenbar keiner zuteilwerden. Jakob Kuisl zuckte und zerrte, er hörte sein Blut im Kopf rauschen, dahinter vernahm er spitze Schreie und gellendes Gelächter.
    »Seht, wie sie zappeln! Das Schafott ist ihr Tanzboden!«
    Noch einmal öffnete der Henker die Augen, doch er sah nichts außer einem roten Schleier. Die Stimmen der Zuschauer vermengten sich zu einem Brei aus Lauten ohne
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