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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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Sinn und Bedeutung. Bilder rasten auf ihn zu und durch ihn hindurch. Er sah sich selbst im Krieg, das Schwert in der Hand, im Hintergrund eine Stadt in Flammen. Dann wieder Schwärze und seinen Vater, wie er unter dem Steinhagel tot zusammenbricht; Soldaten, die werbend durch Schongau ziehen und dem kleinen Jakob am Straßenrand zuwinken; er selbst auf dem Schoß seiner Mutter, in den kleinen, schmutzigen Händen eine Puppe aus Holz, der der Kopf fehlt.
    Mama, warum bringt der Vater die Leut um?
    DieBlutschleier vor seinen Augen zogen wie Gewitterwolken in einem Sturm vorbei, dahinter erschien eine weiche, warme Schwärze, in deren Mittelpunkt ein winziges Licht leuchtete, das schnell näher kam und sich zu einem Tunnel öffnete. An seinem Ende stand eine strahlenumkränzte Gestalt.
    Mutter, ich komm heim zu dir … Ich komm …
    »Haltet ein! Im Namen der Stadt, haltet sofort ein!«
    Plötzlich spürte Jakob Kuisl, wie er nach unten fiel. Unvermittelt schlug er auf den harten Kisten auf. Sein Körper, der schon so weit weg war von ihm, meldete sich zurück mit irdischen Schmerzen; das Licht und der Tunnel verschwanden, und im gleichen Moment strömte kostbare Luft kalt und gleichzeitig heiß durch seine Kehle. Ihm war, als würde sie seinen Hals verbrennen. Er rollte sich zur Seite, würgte und spuckte bittere Galle. Als er den unangenehmen Geschmack auf der Zunge spürte, wusste er, dass er noch lebte.
    »Alle zurück! Sofort kehrt ihr zurück in eure Häuser, oder ich lasse euch alle an den Pranger stellen und mit Ruten auspeitschen. Habt ihr mich nicht gehört? Dies ist ein Befehl der Stadt!«
    Jakob Kuisl öffnete sein blutverkrustetes rechtes Auge und erblickte direkt vor sich einen Mann in Pelzmantel und roter Amtskappe. An seiner Seite stand breitbeinig und mit erhobenen Armbrüsten ein halbes Dutzend Stadtwachen, die von den Kisten hinab auf die Menge zielten. Knurrend wie junge Hunde zogen sich die Menschen einer nach dem anderen zurück. Nur ein paar wenige schienen noch protestieren zu wollen, doch schon bald hatten die Büttel wieder die Oberhand gewonnen und trieben die Regensburger hinein in die kleinen Gassen, die direkt an die Donau angrenzten. In wenigen Minutenwar der Spuk vorbei und die Floßlände so leer wie an einem Sonntagmorgen während der Messe.
    Keuchend richtete sich Jakob Kuisl auf und wankte auf den Rand des Schafotts zu. Dort lag zusammengekrümmt in einer Lache aus Erbrochenem Philipp Teuber. Der Regensburger Scharfrichter hustete und spuckte, sein Brustverband war blutrot gefärbt, trotzdem schien Teuber wenigstens kurzzeitig wieder aus seiner Ohnmacht erwacht zu sein. Kuisl kniete sich neben seinen Freund und fuhr ihm durch die schweißnassen Haare.
    »Meinst wohl, du kannst mir hier verrecken«, murmelte der Schongauer Scharfrichter kraftlos. Seine Kehle brannte wie Feuer, so dass er die Worte nur stoßweise herauspressen konnte. »Nix da … Hab dich nicht den ganzen Weg von Weidenfeld hierhergeschleppt, bloß dass du jetzt aufgibst. Wir Henker sind zähe Hunde, merk dir das.«
    Philipp Teuber schien zu nicken, dann drehte er sich wie ein krankes Tier auf die Seite und rührte sich nicht mehr. Sein Atem pfiff und rasselte weiter, ganz so, als wollte er allen Umstehenden verkünden, dass er immer noch nicht tot war.
    »Wir werden ihn nach Hause bringen«, ertönte eine befehlsgewohnte Stimme rechts von Kuisl. »Seine Frau wird ihn pflegen. Alles Weitere ist in Gottes Hand.«
    Jakob Kuisl drehte sich um und sah direkt in die Augen des Mannes mit der roten Amtsmütze. Er war alt und trug einen Kneifer im faltigen Gesicht. Doch sein Blick schien stark und klar wie der eines Dreißigjährigen.
    »Du also bist dieser Jakob Kuisl«, sagte Paulus Mämminger und musterte sein Gegenüber streng und gleichzeitig neugierig. »Hast es uns ja nicht leicht gemacht. Einsperren und foltern kann man dich nicht, und hängen lässtdu dich offenbar auch nicht. Wer bist du? Der Teufel? Ein Geist?«
    Der Henker schüttelte den Kopf. »Einfach nur ein Kuisl«, krächzte er. »Wir sind eine sture Sippe.«
    Paulus Mämminger lachte. »Das kannst du laut sagen. Alle miteinander nicht totzukriegen, auch deine Tochter und dein zukünftiger Schwiegersohn nicht.« Er wandte sich an eine der Wachen neben ihm. »Schneidet diesem Mann die Fesseln durch, er hat genug gelitten. Und dann bringt die beiden anderen her. Jetzt, da die Meute fort ist, haben sie nichts mehr zu befürchten.«
    Der Büttel löste den
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