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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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durch das Labyrinth der Gänge und unterirdischenQuellen geirrt, hatte keinen anderen Ausgang gefunden und war schließlich im Brunnenhaus langsam verhungert.
    »Weißt du, was komisch war?«, sagte Nathan, während er in einem polierten Kupferspiegel seine goldenen Zähne bewunderte. »Alle seine Taschen waren voll von diesem bläulichen Zeug. Er muss irgendwo noch ein Säcklein davon versteckt haben, das den Wachen nicht aufgefallen war. Als der Hunger immer schlimmer wurde, hat er das Mehl wohl gefressen. Sein ganzer Rock war weiß davon, er muss es regelrecht in sich hineingestopft haben. Und jetzt hör zu, was die Wachen erzählen.« Nathan machte eine dramatische Pause und zwinkerte Simon zu. »Sie hätten bei ihrer Ehre noch nie einen Toten gesehen, dem das Entsetzen so ins Gesicht geschrieben war wie unserem Silvio. Die Augen angstgeweitet, der Mund zum Schrei geöffnet, die Wangen eingefallen. Und sein Haar soll schlohweiß gewesen sein! Ganz so, als hätte der Venezianer den Satan und alle Dämonen der Unterwelt gleichzeitig erblickt. Was für ein grausiger Tod!«
    Nathan schüttelte sich, bevor er weiter seine Zähne betrachtete und eine Fleischfaser hervorpulte.
    »Tagelang allein im Dunkeln, gefangen im eigenen Wahnsinn«, murmelte Simon. »Welche Alpträume ihn wohl geplagt haben? Nun, zum Schluss wusste er wenigstens, wie dieses verfluchte Mutterkorn wirkt.«
    Anfang November waren sie schließlich bereit, aufzubrechen. Simon und Magdalena statteten den Bettlern unter dem Neupfarrplatz einen letzten Besuch ab, wobei ausgiebig die ganze Nacht hindurch gefeiert wurde. Hans Reiser weinte ein wenig, doch als Simon versprach, ihm eines seiner Kräuterbücher zu schenken, beruhigte der Alte sich schnellwieder. Der Medicus war sich sicher, dass er in dem wissbegierigen Greis einen würdigen Nachfolger gefunden hatte. Schon bald würden die Bettler sich in Regensburg allein kurieren können. Schließlich wuchsen Heilkräuter in allen Gärten der Stadt, sie brauchten nur heimlich bei Mondschein abgepflückt zu werden.
    Als die kleine Gruppe endlich von der Regensburger Floßlände ablegte, standen Nathan und seine Männer an der Kaimauer und winkten ihnen noch lange nach. Kalter Novemberregen wehte den Passagieren ins Gesicht, nur langsam zogen die Pferde auf dem morastigen Treidelpfad das Floß gegen die Stromrichtung. Auch in den nächsten Tagen wurde das Wetter nicht besser. Dick eingemummt in ihre Mäntel, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, standen Simon und Magdalena am Bug und starrten in den Nebel, der über den Wäldern und abgeernteten Feldern hing. Rauch stieg von Feuern auf den Äckern auf und wehte nach Westen, dorthin, wo ihre Heimat lag. Der Mutter hatte Magdalena schon vor Wochen einen Brief geschrieben und ihre baldige Rückkehr angekündigt, jetzt wurde das Herz der Henkerstochter von einem Schmerz überflutet, den sie so stark noch nie gespürt hatte. Das Heimweh schien sie von innen her aufzufressen.
    Nach schier endlosen zwei Wochen glitten sie mit anderen Flößen auf dem breiten Lech dahin, als plötzlich im Nebeldunst Kirchtürme und Giebelhäuser auf einem Hügel auftauchten.
    »Schongau«, murmelte Magdalena. »Ich hab schon gedacht, wir kommen nie an.«
    »Bist du sicher, dass du dorthin zurückwillst?«, fragte Simon und zog sie fest an sich.
    Magdalena schwieg lange, während der kalte Regen ihr insGesicht prasselte. Schließlich erklang ihre Stimme, leise und gepresst.
    »Haben wir eine Wahl?«
    Schon als sie die Schongauer Floßlände verließen und durch das Gerberviertel unten am Fluss schritten, merkten sie, dass etwas nicht stimmte. Obwohl es auf Mittag zuging, war kein Mensch auf den Straßen. Viele Türen waren verriegelt, die Fenster mit dicken Balken zugenagelt. Ein paar Hunde und Katzen huschten durch die morastigen Gassen, ansonsten war es ruhig wie auf einem Friedhof.
    »Meine Begrüßung hab ich mir aber anders vorgestellt«, knurrte der Henker. »Wo sind denn die Leut alle hin? Zur Messe? Oder suchen uns die Schweden wieder heim?«
    Simon schüttelte den Kopf. »Das sieht mir eher danach aus, als ob die Menschen Angst vor irgendetwas hätten.« Er ließ den Blick über Türen schweifen, an denen kleine Sträußlein von Johanniskraut hingen. An manch einem Fenster war zusätzlich ein Drudenfuß oder ein Kreuz mit Kreide aufgemalt. »Um Himmels willen«, murmelte er. »Was ist hier nur passiert?«
    Sie begannen schneller zu laufen. Endlich hatten sie das Henkershaus
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