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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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Rössern und dem laut tratschenden Gesinde in unzähligen Kutschen, Wagen und Karren gaben sie einen ersten Vorgeschmack auf das, was Regensburg ab Januar blühte, wenn der Reichstag offiziell begann. Die Fremden, eine exotische Schar aus den fernsten Teilen des Deutschen Reiches, füllten die Gassen und die Häuser mit Lärm und Leben. Seltsam sprechende Diener prügelten sich in den Wirtshäusern mit den Einheimischen, und die hohen Herren kauften die Märkte leer. Die Regensburger knurrten und jammerten, und so manch einer sehnte schon jetzt den Tag herbei, an dem der Kaiser wieder aus der Stadt abreiste.
    Jakob Kuisl bekam von alldem nicht viel mit. Die ersten Tage war sein Fieber so stark, dass er nur gelegentlich aufwachte, um eine dünne Gerstensuppe zu schlürfen. Wie es unter Henkern Brauch war, kam er im Haus von Philipp Teuber unter, wo die beiden Scharfrichter gemeinsam von Simon, Magdalena und Teubers Frau während der nächsten zwei Monate gesund gepflegt wurden. Caroline Teuber meinte, sie habe noch nie zwei Männer getroffen, die einander so mochten und sich trotzdem in einem fort gegenseitigso sehr beschimpfen konnten. Als das Fieber der beiden nach fast zehn Tagen endlich nachließ und die Kräfte zurückkehrten, zankten die zwei Henker im breiten Ehebett der Teubers wie kranke, gelangweilte Kinder. Dabei hatten sie sowohl an den Arzneien wie auch am lauwarmen Gewürzwein und der zumeist breiartigen Kost etwas auszusetzen.
    »Ich kann nur hoffen, dass sie bald genesen«, stöhnte Caroline Teuber, während sie mit Magdalena einen Topf aromatisch duftendes Grünöl anrührte. »Mir reichen meine fünf Buben. Da brauch ich nicht noch mehr Gestreite.«
    Philipp Teuber stand in den ersten Tagen an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Er schrie im Fieber und schien in seinen Alpträumen immer wieder aufs Neue von einer wütenden Menge gehängt zu werden. Doch seine Brustwunde heilte überraschend schnell. Der Bolzen hatte die Lunge nur um einen Fingerbreit verfehlt und war glatt durch die Schultermuskulatur gedrungen. Als Teuber wieder bei Bewusstsein war, führte er den Heilungserfolg auf seine selbst gemischte Wundsalbe zurück. Jakob Kuisl war eher der Meinung, dass Unkraut nicht vergeht. Doch auch Kuisls Schulter und die von Brandwunden entstellten Arme und Beine machten gute Fortschritte. Die Brandblasen gingen zurück, es blieben kleine, pockenartige Narben, die den Henker für immer an die Folter in der Regensburger Fragstatt erinnern sollten.
    Schon bald nach Kuisls Rettung auf der Floßlände setzte sich Paulus Mämminger im Rat dafür ein, dass der Schongauer Scharfrichter für unschuldig erklärt wurde. Der Kämmerer konnte die Patrizier überzeugen, dass Jakob Kuisl nur ein Bauernopfer der Freien gewesen war. Die Freien selbst verschwanden nach dem Tod ihres Anführersso plötzlich, wie sie gekommen waren. Es war fast, als hätte es sie nie gegeben.
    Die dreißig Säcke Mutterkorn verbrannten die Stadtwachen auf einem Feld nahe Regensburg. Nur Mämminger und ein paar der höheren Patrizier wussten am Ende von dem monströsen Plan, den gesamten Reichstag zu vergiften. Der Kämmerer hielt es für ratsam, so wenige Leute wie möglich in die Sache einzuweihen; teils, um das Volk nicht unnötig zu beunruhigen, teils aber auch, um den einen oder anderen der angereisten Adligen nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Auch der Bettlerkönig Nathan verriet nichts. Simon vermutete, dass er dafür von Mämminger eine hübsche Summe erhalten hatte.
    An einem kalten, nassen Oktobervormittag setzte der Medicus Nathan sein restauriertes goldenes Gebiss ein, ganz so, wie er es versprochen hatte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Simon eine interessante Neuigkeit, die seinen Widersacher, den Venezianer, betraf.
    »Ich war gestern draußen beim Brunnenhaus«, sagte der Bettlerkönig beiläufig, während der Medicus seine Instrumente wegräumte. »Stell dir vor, sie haben Silvio gefunden.«
    »Nach so langer Zeit?« Simon ließ vor Überraschung fast das Stilett fallen. »Und, lebt er?«
    Nathan grinste. »Nur wenn es ein Leben nach dem Tod gibt.« Dann erzählte er dem aufgeregten Medicus, was ihm eine bestochene Wache berichtet hatte.
    Die Büttel hatten das Brunnenhaus öffnen lassen, weil Bauern sich über einen ekelerregenden Gestank beklagt hatten, der durch die Tür drang. Direkt hinter der Schwelle fanden die Wachen schließlich die halbverweste Leiche Silvio Contarinis. Offenbar war der Venezianer tagelang
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