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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition)
Autoren: Simon Geraedts
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Silbe ausdrückte.
    »Nein.«
    Erstmals verstummte der für gewöhnlich so redselige Herr und betrachtete die im Geiste Verbundenen mit einem Ausdruck der Verunsicherung, ja Ängstlichkeit. Die Kreatur spürte das Band, das ihre Seelen vereinte und einen mächtigen Strom durch ihre Herzen fließen ließ. Alles war entschieden und die Beute zum Verzehr bereitet; und doch empfand das Wesen ein nie da gewesenes Unbehagen, ein fremdes Gefühl der Unterlegenheit, als würde es selbst besiegt am Boden liegen. Die Kreatur dachte an die ungeheure Macht, welche die Menschen hervorbrächten, wenn sie alle so vereint im Geiste wären und gemeinsam das Wort des Widerstands aussprächen, nicht nur im Flüsterton, sondern mit einer erhobenen Stimme, die so laut und durchdringend wäre, dass ihre Botschaft jedes noch so weite Tal und jeden noch so hohen Berg überwinden würde. Das Wesen begriff in einem bisher ungekannten Gefühl der Verwundbarkeit, dass ihre Verwandlungskunst gegen eine geistige Verbundenheit dieser Art machtlos wäre, da sie nur das tote Material zu formen verstand und auf das beseelte Leben keinen Einfluss hatte.
    Unwohl drängte der Herr die Bestien zur Eile, die blubbernd ihren Mageninhalt hervorwürgten. Er wollte diese furchtlosen Menschenseelen vernichtet wissen, ehe ihr Mut wie ein Funke auf andere übersprang und ein loderndes Feuer des Widerstands entzündete.
    Doch auf einer höheren Ebene des Seins, wo solche überirdischen Kräfte wie die Vorahnung und Intuition wirkten, spürte das Wesen, dass dies bereits geschehen war und der nie für möglich gehaltene Widerstand sich jeden Augenblick als gewaltiger Donnerschlag offenbaren würde. Und noch während der Herr mit zitterndem Blick dastand und inständig hoffte, dass sein Sinn für das Künftige ihn zum ersten Mal täuschte, nahm die befürchtete Katastrophe unaufhaltsam ihren Lauf.
    Ein scharf gebündelter Lichtstrahl drang aus der verdunkelten Fensterreihe des Kontrollzentrums und traf den Herrn wie eine gleißende Lanze im linken Auge. Er schrie vor Schmerz, taumelte nach hinten und legte beide Hände wie einen Wundverband auf die verletzte Netzhaut.
    Aber nicht nur der Herr, sondern auch seine unverwandelten Artgenossen heulten leidvoll und pressten ihre gewaltigen Klauen auf die Augen. Auch die beiden Bestien, die Janick und Judith zu Boden gedrückt hatten, ließen kreischend von ihnen ab und zogen sich winselnd zurück.
    Die Kreaturen wimmerten und stolperten blind ineinander. Keine von ihnen war vom Schmerz ausgenommen; sie alle keuchten, jaulten und heulten.
    Bevor sie sich von dem Angriff erholen konnten, erfolgte der Zweite mit ebensolcher Macht. Wie ein Gewitterblitz schoss ein weiterer Lichtstrahl vom Kontrollzentrum in die Finsternis und bohrte sich ins Auge des Wesens, das als Erstes die schützenden Klauen gesenkt hatte.
    Erneut verfiel die Bestie zusammen mit all den anderen in ein grässliches Gebrüll. Sie pressten die Klauen auf die Augen, torkelten orientierungslos umher und brachten sich gegenseitig zu Fall. Als wieder eine der Kreaturen einen Blick wagte, wurde es ihr durch den dritten Lichtstrahl gebüßt, der die Tortur für sie und alle anderen von vorn beginnen ließ.
    Janick und Judith beobachteten ungläubig die Bestien, die seit Jahrzehnten als unbesiegbar galten und nun wie geschundene Köter umherkrochen. Bald war zu sehen, wie ihre Kräfte schwanden und ihre Körper verblassten; auch die Wolkendecke lichtete sich und ließ zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert das Sonnenlicht hindurch. Je länger die Wesen litten, desto mehr wich die Finsternis aus der Welt und kam die Sonne hinter den Wolken hervor.
    Ein vierter Angriff blieb aus, sodass die Kreaturen endlich von den Schmerzen erlöst wurden und allmählich zur alten Kraft wiederfanden. Ihre Leiber wurden wieder undurchsichtig, und die Wolkendecke zog sich zu. Geschlagen suchten sie das Weite und verschwanden heulend in der wiedergekehrten Finsternis.
    Mit offenen Mündern sahen Janick und Judith einander an und begriffen nicht, was soeben geschehen war.
    »Jetzt wisst ihr es!«
    Die Lautsprecherdurchsage ließ sie erschrocken zur Fensterreihe über dem Außentor blicken. Das Licht im Inneren – ihr tröstlicher Stern – strahlte wieder, als wäre es in Wahrheit nie erloschen. Hinter der Scheibe sahen sie die Umrisse einer Person, die ihnen fröhlich zuwinkte.
    »Jetzt kennt ihr den Schwachpunkt dieser Biester!«
    Es folgte ein glückliches Lachen, so
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