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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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Faszination er auf jene, die er ins Visier genommen hatte, ausüben konnte, hatte nur Luisa begriffen – Luisa, die sie später auch über die Tragödie im Hause Taunstätt informiert hatte; es war das erste Mal im Leben gewesen, dass Anne sich die Bild -Zeitung gekauft hatte.
    Anne sah sich im Spiegel an und dachte daran, dass sie Marks richtigen Nachnamen nicht kannte; er war nicht lange, bevor sie ihn kennenlernte, von den Taunstätts aus einem Heim adoptiert worden.
    »Kommt es dir nicht manchmal vor wie ein Märchen?«, hatte Anne ihn gefragt, als sie gemeinsam am Pool in der Sonne lagen – die Taunstätts waren, wie so oft, das ganze Wochenende nicht da.
    »Was?«, hatte Mark träge gefragt.
    »Na, alles, dein ganzes Leben.«
    Sie wusste, dass er solche Bemerkungen nicht mochte, und doch konnte sie es sich nicht verkneifen. An diesem Nachmittag hatte er schon genug Bier getrunken, um nicht aufzubrausen, aber die Stimme, mit der er »Ja, sicher« antwortete, klang doch so ungeduldig, dass sie die Warnung verstand und beherzigte. Keine Fragen nach seiner Vergangenheit. Am besten überhaupt keine Fragen. Sie musste immer darauf achten, in welcher Stimmung er war. Sie ahnte bereits, dass er gefährlich werden konnte, noch bevor er es der ganzen Welt bewiesen hatte.
    Anne schauderte. Der Spiegel in der Damentoilette des Cliff’s zeigte ihr ein blasses, kleines Gesicht. Wie sie sich gewünscht hatte, er möge sie anfassen, überall … Kurz darauf war er dann mit so einer Schlampe herumgezogen, Britney, und sie, Anne, hatte ihre Ferien nicht mehr bei Luisa und Christopher verbracht … Anne schminkte sich die Lippen und nahm nun auch etwas Kajal – genug geweint –, bevor sie den kalten, mit Graffiti beschmierten Flur zurück in die Bar eilte, weil sie plötzlich befürchtete, dass Rebeccas Aufmerksamkeit endgültig verloren sein könnte.
    Nur ein Verdacht. Der sich aber leider bewahrheitete. Rebecca saß, den Körper zu den Jungs gedreht, und gestikulierte. Sie flirtet, dachte Anne. Sie könnte sich genauso gut ein Schild umhängen: »Bin auf Männersuche.« Sie ist verwöhnt, wie Mark Taunstätt es niemals gewesen war, dachte Anne. Hier, in dieser Gegend, geschieht für Rebecca nichts von Bedeutung; hier spielt sie nur. Rebecca von der Upper East Side lässt sich herab, Rebecca hat Spaß, Rebecca ist durchaus in der Lage, sich in einer anspruchslosen Umgebung zu amüsieren.
    »Hey«, sagte Anne, ohne die Freundin wirklich anzusehen, und setzte sich.
    Rebecca sagte lebhaft: »Hey. Er hier«, sie deutete auf Prinz Harry, »hat eben gesagt, Rauchen wäre nicht gut für die Gesundheit. Hast du davon schon mal was gehört?«
    »Sehr orginell«, sagte Anne miesepetrig. Der Blonde war eindeutig am attraktivsten, aber derjenige, zu dem sie andauernd hinschauen musste, war der Mark-Taunstätt-Klon. Mark, einige Jahre älter. Als sie ihn kennengelernt hatte, war er fünfzehn gewesen. Wie er jetzt wohl aus-sah, jetzt, in der Psychiatrie? So lange, nachdem er seinen Stiefvater mit dem Baseballschläger erschlagen hatte? Mark habe zur Tatzeit unter Drogen gestanden, hatten die Zeitungen geschrieben.
    So viel zum Zauber meiner Kindheitssommer, dachte sie.
    Rebecca boxte ihr in die Rippen: »Hey! Wie du heißt, war angefragt worden!«
    »Anne heiße ich.«
    Daraufhin folgten die üblichen Ausspracheübungen zu ihrem Namen. Der Mark-Taunstätt-Lookalike machte nicht mit. Anne rollte entnervt die Augen. Er lächelte.
    »Wir wollten eigentlich noch etwas besprechen«, sagte Rebecca zu den Jungs und wandte sich wieder Anne und ihrem Zweiertischchen zu. Sie war plötzlich wieder ganz konzentriert – war das nur Show?
    »Ich glaube, ich muss erst mal selbst über alles nachdenken«, sagte Anne.
    »Ja, klar«, gab Rebecca zurück. »Aber was willst du jetzt machen? Eigentlich wolltest du Weihnachten ja gar nicht nach Deutschland, nicht wahr?«
    »Tja. Stimmt.«
    Ihre Mutter wollte Silvester in New York verbringen, eine Idee, der Anne eher skeptisch gegenüberstand.
    Die Jungs am Nachbartisch bestellten Essen. Okay, sie würden also nicht so schnell aufbrechen.
    »Ich meinte übrigens vorhin – als du weggerannt bist – nur, du müsstest vielleicht etwas mehr Selbstständigkeit entwickeln, auch, was zum Beispiel deine Themen in der Kunstgeschichte angeht. Weißt du, es kommt mir so vor, als würdest du dir dieselben Themen aussuchen wie diese Luisa.«
    Jetzt ging das wieder los! Anne sagte nichts, warf ihr nur einen
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