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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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war und aufblickte, lachte Luisa direkt in ihr erwartungsvolles Gesicht hinein, und dabei wünschte sie sich, dieses Mädchen wäre nie bei ihnen aufgetaucht.

Der Liger
    L uisa hielt sich für eine leidenschaftliche Frau, aber man konnte mit etwas weniger gutem Willen auch Maßlosigkeit die für sie kennzeichnende Eigenschaft nennen. Es gab für sie entweder gut oder böse, weiß oder schwarz, niemals grau. Wenn ihr eine Person sympathisch war, lobte sie diese über den grünen Klee, und wenn nicht, ließ sie kein gutes Haar an ihr. Ihre Kriterien blieben unscharf und wechselten, und so konnte es passieren, dass sie bei ein und demselben Menschen innerhalb kurzer Zeit mehrfach die Sortierschublade wechselte, bis sie schließlich keine Energie mehr hatte und den Betreffenden fallen ließ. Der ist mir zu kompliziert, sagte sie, wenn sich jemand wunderte.
    Christopher hatte in ihren Augen alles richtig gemacht, als sie sich vor Jahren kennengelernt hatten. Sie vergötterte ihren Mann völlig undifferenziert für alles, was er tat, und respektierte, was er bleiben ließ. Neuerdings gab es jedoch Perioden, in denen sie ihn, oft wegen Nichtigkeiten, zutiefst verachtete. Anfangs war sie darüber bestürzt gewesen, dann hatte sie sich daran gewöhnt; es waren nur Ausnahmezustände. Von Zeit zu Zeit schluckte sie ihre Enttäuschung über ihn nicht mehr herunter, sondern ließ ihrem Zorn freien Lauf; danach empfand sie Erleichterung.
    Jetzt zum Beispiel konnte sie es gar nicht erwarten, dass er endlich zurückkam – er brachte ihre Nichte Anne zum Bahnhof –, damit sie ihm alles an den Kopf werfen konnte, was sich in den letzten Tagen aufgestaut hatte. Sie lief aufgeregt im Haus hin und her. Er hatte sie über Tage hinweg schlecht behandelt; es drängte sie schon eine Weile, ihn endlich auf das Unrecht aufmerksam zu machen, aber vor dem Mädchen hatte sie keinen Streit anfangen wollen. Christopher vergaß gerne, dass Anne nicht ihre eigene Tochter war und jederzeit ihrer Mutter gegenüber etwas ausplaudern konnte. Und das, wo Luisa sich so große Mühe gab, gegenüber der Schwester das perfekte Paar zu verkörpern. Nein, darauf legte sie keinen Wert.
    Sie blieb stehen und sah auf die Uhr. Er war schon eine Ewigkeit weg. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass er gar nichts ahnte – sie hätte ihm zugetraut, mit Absicht so lange herumzutrödeln und sie in ihrer Empörung warten zu lassen. Wirklich, er täte besser daran, bald zurückzukommen. Alles, was ihr jetzt unter die Augen geriet, brachte sie nur noch mehr auf. Beispielsweise hatte Anne ihre Turnschuhe unter dem Sofa vergessen. Wer war es wohl, der sich darum kümmern musste, dass diese Schuhe nach Heidelberg gelangten? Sie natürlich, Luisa, sie müsste den halben Tag wartend am Postamt verbringen, kein anderer. Apropos Schuhe. Sie stapfte aus dem Wohnzimmer in den Flur. Klar – da lag auch die Plastiktüte mit ihren schwarzen Stiefeln, die sie Christopher gebeten hatte mitzunehmen; direkt vor dem Bahnhof war ein sehr guter Schuster. Hatte er natürlich vergessen. Schon diese beiden Unachtsamkeiten würden sie heute den halben Tag kosten. Luisa drehte abrupt um und wäre dabei fast über Benno gestolpert, der ihr mit angelegten Ohren schon seit einer Weile folgte – wohl wissend, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Luisa eilte die Treppe hoch und ging in ihr Zimmer, wo sie sich rücklings auf die Couch legte. Benno setzte sich ans Fußende und blickte sie mit sanften Augen an, wie ein geduldig wartender Psychoanalytiker seine schwierige Patientin.
    Angefangen hatte es mit diesem Spaßbad, dachte Luisa; da haben sie sich verbündet. Danach war sie ausgeschlossen gewesen. Sie versuchte, ein bisschen zu weinen, aber es ging nicht. Benno blinzelte verständnisvoll.
    Luisa schwamm für ihr Leben gern, aber sie hatte just an diesem Tag ihre Regel bekommen, und da wollte sie nicht ins Wasser. Sie hatte also vorgeschlagen, den Ausflug zu verschieben. Die Gesichter der beiden hätte man fotografieren und ins Netz stellen müssen – unter dem Stichwort »Uns wird Böses angetan«. Christopher hatte geistesgegenwärtig behauptet, es solle bereits am folgenden Tag wieder regnen, und zwar für längere Zeit. Was es übrigens nicht tat, aber darum ging es nicht. Tatsache war, dass Anne und er, als Luisa eher rhetorisch vorschlug, sie könnten ohne sie fahren, sofort einverstanden waren. Wenn es dir nichts ausmacht, hatte Christopher hinzugefügt, aber da war es zu
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