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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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gekommen, weil sie den Abstand, den Anne zu ihr hielt, völlig anders interpretiert hatte. Nein, nicht sie war es gewesen, Christopher hatte es herausgefunden.
    »Für morgen habe ich freigekriegt«, sagte Anne.
    »Das ist schön«, bemerkte Luisa erschöpft.
    »Dann kann ich Dienstag auf dem Markt was tragen, wenn ich wieder arbeite.«
    »Das ist – wunderbar.«
    Luisa nickte vor sich hin. Sie war sehr müde und gar nicht mehr hungrig. Sie hätte sich hinlegen und einschlafen können, das Gesicht nach oben. Immerhin, dachte Luisa, hat mein Eindruck mich nicht getäuscht. Es stimmte wirklich etwas nicht im Verhalten des Mädchens. Aber jetzt, da sie es wusste, was sollte sie tun? Es war eine Sache, sich auszuruhen und hier auf dem Rücken zu liegen, eine ganz andere war, zur Machtlosigkeit verdammt zu sein. Ach, wäre es schön, die Zeit zurückzudrehen. Und wenn sie aufwachte, wollte sie nichts mehr erklären müssen, sie wollte einfach genau wie Anne etwas spielen, das sie sich selbst ausgesucht hatte, und dabei unterstützt werden. Geliebt werden – das war es und nichts anderes, nur darum ging es.
    »Willst du nichts essen?«, fragte Christopher – undeutlich, denn er kaute dabei.
    »Doch!« Sie hatte entschieden gesprochen, griff aber nur zögernd zu.
    »Halt mal den Kopf wieder nach unten, Tante Luisa«, sagte Anne auf einmal.
    »Was? Wie meinst du? So?« Sie guckte wieder nach unten. Was in Dreiteufelsnamen hatte das Mädchen nun im Sinn?
    »Jetzt siehst du aus wie die Madonna im Grünen.«
    »Wie eine Madonna?«, fragte Christopher, der Banause, mit vollem Mund dazwischen. »Ach nee.«
    »Das Bild habe ich in Wien gesehen«, erklärte Anne, die sich, da sie nun einmal offiziell eine Dienstbotin war, nicht aus der Ruhe bringen ließ. » Madonna im Grünen . Da sitzt eine Frau in einem roten Kleid und mit hochgesteckten Haaren bei einem Picknick und sieht nach unten. Genau so wie du eben. Du hast auch ein rotes Oberteil an, nur die Jeans passt nicht.« Sie nickte zufrieden vor sich hin.
    Luisa konnte sich undeutlich an das Bild erinnern – es war ein Raffael, und er zeigte tatsächlich eine Frau mit aschblonden, hochgesteckten Haaren, einem roten Kleid und einem blauen Umhang. Sie hielt ein nacktes Kind fest. Hatte sie, Luisa, auch ein dermaßen blasses Gesicht und diesen leicht weggetretenen Madonnenblick? Jedenfalls war dies eine unglaubliche Beobachtung für ein Kind.
    »Was macht meine Dienstbotin denn im Wiener Museum?«, rief Christopher gut gelaunt.
    Anne reagierte sofort: »Da war ich noch nicht in Lohn und Brot, da hatte ich meine Familie«, erklärte sie mit sicherer und doch bewegter Stimme.
    In Lohn und Brot, dachte Luisa.
    »Na, die wird dich auch wieder abholen, deine Familie«, dröhnte Christopher zurück, »bis dahin musst du hier alles tun, was wir sagen!«
    »Okay«, piepste Anne begeistert.
    Luisa wollte nicht, aber sie musste lachen. Sie lachte erst leicht und glucksend auf, dann wurde ihr Lachen stärker, geradezu unaufhaltsam. Es war nur im ersten Moment befreiend gewesen, kurz darauf schmerzte es schon, es tat ihr in der Brust und in den Augen weh, bis diese anfingen zu tränen und die Tränen ihr in Bächen die Wangen herabliefen. Als sie anfing zu heulen und gleichzeitig zu lachen, fand sie endlich ihren Rhythmus, und so heulte und lachte und lachte und heulte sie. Christopher starrte sie an, Anne drehte verunsichert den Kopf zwischen ihnen beiden hin und her. Luisa war machtlos gegenüber ihrem eigenen Lachen; sie konnte sich nicht dagegen wehren, es entstand einfach in ihr, immer mehr davon drängte hinaus, und sie ließ es zu, denn sie wusste, sie würde sonst daran ersticken.
    Da bilde ich mir ein, dachte Luisa mitten in ihrem Lachrausch, meine Bilder, die ich nachbaue, gehören nur mir, niemand macht das wie ich, niemand hat diese Eigenart, und dann kommt eine Achtjährige und richtet mich her, damit ich in ihr Bild passe, es ist nicht zu fassen, ein acht Jahre altes Mädchen – sie verschluckte sich und musste husten –, ein Dienstmädchen . Sie lachte jetzt etwas verhaltener, fast war es nur noch ein Kichern, aber das war nur, um Kraft zu tanken und in eine neue Salve auszubrechen, die sich automatisch einstellte und gleich wieder ihren Höhepunkt finden würde, da sie sah, wie Anne vor lauter Hilflosigkeit und Verlegenheit begann, sorgfältig die benutzten Servietten zusammenzufalten und mit den gebrauchten Tellern in den Picknickkorb zurückzulegen. Als sie fertig
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