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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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abnutzte, aber regelmäßig an. Christopher wäre schön dumm, wenn er den Abend von Anfang an wegen etwas vermieste, das ihr wirklich wichtig war.
    Zufrieden packte sie die Decke zusammen und tat dann übertrieben begeistert, als er die Idee hatte, eine Frisbeescheibe mitzunehmen, obwohl ihr eigentlich nach nichts anderem zumute war, als sich im Gras auszuruhen und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.
    Anne sah interessiert zu, wie Luisa einen Korb mit Essen und Besteck packte, und weil sie andauernd helfen wollte, dauerte es länger. Beinahe hätten sie den Nachtisch vergessen. Es war gegen sechs Uhr abends, als sie aufbrachen wie auf eine Expedition, dabei waren es keine fünfzehn Minuten zu Fuß. Anne fragte x-mal, ob sie nicht den Korb und den Rucksack oder wenigstens eines von beiden tragen könnte, und war grenzenlos enttäuscht, als Luisa ihr erklärte, dann würde sie zusammenbrechen, und am Ende müssten sie mit ihr ins Krankenhaus.
    »Du musst nicht dauernd helfen , Anne. Hat dir Ines gesagt, du sollst das tun?«
    Es sah ihrer Schwester gar nicht ähnlich, und Luisa glaubte ihrer Nichte, als die den Kopf schüttelte.
    Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinanderher, und Luisa genoss die milder werdende Sonne.
    »Macht ihr jeden Sonntag ein Picknick?«, fragte Anne, während sie über die kleine Brücke über dem Bach balancierte, die Hände an den Seiten ausgestreckt wie auf einem Schwebebalken, obwohl es breit genug für einen mittleren Geländewagen war.
    Christopher sagte: »Nein. Wir sind nämlich sehr fleißig und arbeiten viel, auch am Wochenende. Ein Picknick machen wir nur, wenn wir uns dafür freinehmen.«
    »Und ihr nehmt euch nicht jeden Sonntag frei?«
    Christopher lachte: »Nein.«
    »Sollten wir eigentlich«, sagte Luisa und strich ihm kurz mit der Hand über den Rücken. Dann sah sie, dass in der Ferne Raina, die Putzhilfe der Taunstätts, irgendwelche Abfälle auf deren Komposthaufen im Garten warf, und hob kurz die Hand zum Gruß. Gleichzeitig gingen noch zwei weitere Gartentüren auf, und Benno rannte wie verrückt auf Mortimer, die englische Bulldogge, zu, die ihrerseits zum nächsten Tor lief, aus dem zwei prächtige Dalmatiner kamen. Bald rauften vier sehr unterschiedliche Tiere miteinander.
    »Guck mal, Anne – da hast du deine schönen Hunde.«
    Aber die war im Kopf noch woanders und fragte: »Hat eigentlich jeder Mensch Ferien?«
    Jetzt runzelte Luisa die Stirn, während Christopher sich anscheinend freute, etwas erklären zu können: »Klar. Bei allen Berufen ist das mit der Erholungszeit geregelt. Das ist sehr wichtig, weil der Kopf und der Körper nicht dauernd etwas tun können, weißt du. Ich arbeite an einem Forschungsinstitut. Wir haben ungefähr fünf Wochen Urlaub im Jahr, und die kann ich mir einteilen. Luisa gibt an der Universität Seminare, aber wenn Semesterferien sind – das ist so ähnlich wie Schulferien –, muss sie nicht hingehen. Bei Ines ist das genau so. Auch die Volkshochschule hat Schließzeiten. Raimund hat vermutlich nicht besonders oft Ferien, seine Firma gehört Amerikanern, und die sind sehr streng.«
    Luisa sah ihren Mann von der Seite her an. Sie hatte nicht gewusst, wie gut er mit Kindern umgehen konnte. Anne hielt nun beim Gehen den Kopf schief wie Benno, wenn er um ein Leckerli bettelte und deshalb die Person, die es besaß, besser nicht aus den Augen ließ. Luisa wünschte sich für einen Augenblick, selbst wieder ein Kind zu sein und Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Es war jedoch nur ein schwacher, sehr entfernter Wunsch, der sofort überlagert wurde von der Freude darüber, selbst bestimmen zu dürfen und von niemandem mehr abhängig zu sein. Das war schon etwas: nämlich Lebenskunst, so wie das Wort ursprünglich gemeint war, bevor es die Müslis und Esoteriker für sich vereinnahmten. Am meisten freute es sie, wenn sie es schaffte, ihre wunderbaren Fantasiebilder Wirklichkeit werden zu lassen. Sie breitete die Decke genau dort aus, wo sie es sich gedacht hatte, und erklärte in bestimmtem Ton: »Ich richte jetzt alles her, so lange könnt ihr Frisbee spielen.«
    Annes Augenlider flatterten, als ihr Christopher die Hand gab, damit sie aufstehen konnte. Luisa beobachtete ein paar der vorsichtigen Würfe, um die er sich bemühte, damit Anne das gelbe Plastikdings auch mal fing, aber es gelang ihr kein einziges Mal. Sie hob das Frisbee dennoch unverdrossen immer wieder auf und schleuderte es zurück. Luisa kniff die Augen
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