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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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bleiben sollen, der junge Moppel hatte seiner Kunst nicht gutgetan. Es gab natürlich auch entgegengesetzte Meinungen – andere Forscher sprachen von einer Inspiration für Maler und Mann. Sie war aber sicher, dass die Unrecht hatten, und sie konnte das in luzider Argumentation begründen. Sie sah schon die Kritiken vor sich: »Bisher haben renommierte Kunstgeschichtler das anders gesehen. Aber Dr. Luisa Temper gelingt es bravourös, eine neue Sicht auf scheinbar Bekanntes freizulegen.« Diese Vorstellung stimmte sie auf einmal sehr milde. Sie war nie aus Veranlagung heraus in etwas besonders gut gewesen, sondern hatte sich mit viel Fleiß bescheidene kleine Erfolge erkämpft. Sie nahm an, es lag daran, dass nie jemand speziell sie gefördert oder an sie geglaubt hatte. Eine junge Frau hatte es auf diese Weise schwer, Selbstvertrauen zu entwickeln. Wenn jemand an sie geglaubt hätte, wäre alles anders gewesen. Aber jetzt, im Alter von siebenunddreißig Jahren, mit diesem Aufsatz, hatte sie sich selbst übertroffen; sie konnte stolz darauf sein. Die Aussicht auf baldigen Ruhm fühlte sich angenehm an – als berühre sie mit der Zungenspitze ein Sahnebonbon. Sie atmete wieder ruhiger, die größte Hitze ließ nach. Allerdings durfte sie sich nur kurz entspannen, sonst lief sie Gefahr, zu milde zu Christopher zu werden, wenn er gleich käme. Gutmütig wie sie war, könnte sie anfangen, auch seine Position zu bedenken und Gründe für seine Bösartigkeit zu erfinden. Sie schnaufte ärgerlich und ging zur Frisierkommode, wo sie sich im Spiegel kurz ansah. Nun, sagte sie leise zu ihrem Abbild, wenn du fürchtest, deine Wut könnte verrauchen, denk an die Sache mit dem Liger. Sofort waren alle Qualen und Demütigungen wieder frisch.
    Luisa legte etwas Lippenstift nach. Ihre Augen blitzten, und ihre Wangen waren rot. Gut so. Sie war eine leidenschaftliche Frau. So leidenschaftlich, dass sie allzu lange nicht hatte sehen wollen, was für ein egoistischer Mistkerl er sein konnte. Sie würde jetzt erst einmal in Ruhe ihre Bücher sortieren. Er würde sich wundern, dass das Geschirr vom Mittagessen noch nicht abgeräumt war, aber es war höchste Zeit, dass sie ihre Prioritäten neu setzte. Selbstverständlich hatte sie auch keinen Kaffee gemacht. Er wollte sicher Kaffee trinken, und nichts wäre vorbereitet. Er würde trällernd hereinkommen und dann sehr schnell ein ziemlich dummes Gesicht machen. Luisa konnte nicht anders, sie musste bei dem Gedanken lächeln. Hätte Christopher sie so gesehen, er wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, was sich da zusammenbraute. Sie entdeckte ein lange vermisstes Taschenbuch und fühlte sich etwas besser. Wo er bloß steckte? Sie schaltete das Radio ein und begann, Herbert Grönemeyer mitzuträllern. Christopher fand Grönemeyer grässlich und konnte ihn ausgezeichnet parodieren, er hatte eine schöne Stimme. Er hatte ihr einmal, als sie bei einer Wanderung schlechte Laune bekommen hatte, das Lied »Männer« vorgetragen, nur dass er statt »Männer« Berge einsetzte. Statt »wann ist ein Mann ein Mann?«, sang er »wann ist ein Berg ein Berg«, und statt »Männer sind auch Menschen« »Hügel sind auch Berge« und so weiter. Sie erinnerte sich, dass er beim Singen kaum ernst bleiben konnte, und sie hatte sich kaputtgelacht. Naja, er hatte auch nette Seiten. Jetzt sang Luisa mit, aber richtig. Benno hob alarmiert den Kopf und stellte die Ohren auf. Luisa war völlig unmusikalisch, doch sie bildete sich immer wieder gerne ein, der Hund würde ihren Gesang mögen. In einem Anfall von Sentimentalität kniete sie sich hin, umarmte Benno und drückte ihm einen Kuss auf das Fell. Immerhin, der Hund mochte sie noch. In den letzten Tagen war er ihr einziger Verbündeter gewesen.
    Das Telefon klingelte. Sie runzelte die Stirn. War das Christopher, hatte der Zug solche Verspätung? Oder war etwas mit dem Auto? Warum rief er dann nicht auf dem Handy an? Luisa lief zum Apparat. Es war ihre Mutter, die Stimme hoch und aufgeregt, als tätige sie einen Notruf. Also wie immer. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
    »Mama, wie schön«, heuchelte Luisa.
    »Luisa? Was machst du gerade? Ich störe dich sicher bei irgendetwas«, sagte ihre Mutter, die bei dieser Freundlichkeit sofort misstrauisch wurde.
    »Aber nein! Wie kommst du denn darauf?« Luisa tat entrüstet. »Ich räume nur ein bisschen auf. Ich wollte dich auch schon anrufen. Christopher bringt gerade Anne zum Hauptbahnhof, sie war ganz
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