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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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bislang verschwiegen. Ein Teil der Sea-World würde stets für das exklusive Publikum des Casinos reserviert bleiben.
    Man hatte seit Wochen den unwahrscheinlichen Vorteil, dass niemandem, selbst der oppositionellen CDU nicht, eingefallen war, den Wert des Grundstücks zu beziffern sowie die Kosten der Erschließung. Glabrecht selbst hatte das natürlich im eigenen Haus berechnen lassen, und in seinem schriftlichen Angebot, das er mit nach Oslo genommen hatte, stand der errechnete Betrag: fünfundsechzig Millionen Euro. Fünfzig brächte das Gelände, wenn der Senat es verkaufen würde, fünfzehn würde die Erschließung kosten. Faktisch bezuschussten die Investoren die Maritime Oper also nicht mit achtzig, sondern lediglich mit fünfzehn Millionen.
    Ein wenig Sorge machte Glabrecht das ortsansässige, weit verbreitete, kostenlos verteilte CDU - Journal . Die Blattmacher taten jetzt so, als sorgten sie sich um die Sozialausgaben, um die Not leidenden Kindergärten, die Schlaglöcher in den Straßen. So hätte Glabrecht das natürlich ebenfalls getan, wäre er in der Opposition gewesen. Aber er war Teil der Regierung. Die Aussage des Senats, heute könne man im Konzert der Metropolen nur dann mitspielen, wenn man bereit sei, kreativ zu denken, »Wachstum zu generieren«, stieß besonders auf den scharfen Widerspruch der Gewerkschaftsruinen. Empörte Mütter schrieben an den Bürgermeister, rechneten den Mangel an Kindertagesstätten, das Schließen von Schwimmbädern und den Zustand der Schulen gegen die Kosten des Projekts auf. Besonders heftig reagierte auch die linke Abteilung, das eigene grüne Klientel mit den angeschlossenen soziokulturellen Institutionen, Stadtteilkulturzentren und steuerbezahlten Organisationen zur Sicherung der reibungslosen Funktion alternativer Sexualtechniken.
    Glabrecht hatte das Antwortschreiben an die empörten Bürgerinnen und Bürger verfasst. So etwas konnte er nur selbst erledigen, das konnte er nicht delegieren. Das Schreiben enthielt, die Anrede nicht eingerechnet, insgesamt fünf variable Positionen, die vom Büro des unterzeichnenden Bürgermeisters dem jeweiligen Briefschreiber und seinen konkreten Beschwerdepunkten angeglichen wurden. Am Ende hieß es – Glabrecht liebte die Wörter »freilich«, »indes« und »mithin«:
    »Freilich dürfen wir auch die aktuellen Missstände nicht vergessen. Jeden Euro, den wir in die Zukunft unserer Stadt und unserer Kinder investieren, erhalten wir indes mehrfach zurück. Wir müssen uns der grundsätzlichen Frage stellen, ob wir die Übel kurzfristig reparieren oder langfristig beseitigen, indem wir die Attraktivität Bremens nachhaltig stärken. Wir sollten uns nicht fragen, ob wir es uns leisten können, Kultur und Kreativität zu fördern. Wir sollten uns fragen, ob wir es uns leisten können, Kultur und Kreativität nicht zu fördern. Ich bitte Sie mithin ganz persönlich um Ihre Unterstützung, Ihr Reinhard Alte, Präsident des Senats und Bürgermeister.«
    Die Maritime Oper und die Kritik daran beherrschte fast jede Senatssitzung, und gerade das verhohlene, aber überdeutliche anwesende Bewusstsein von der Schönfärberei der Finanzplanung schien die Stimmung der Senatoren und Staatsräte zu berauschen, die Augen leuchten zu lassen, so, als seien die absehbare öffentliche Diskussion, die Schelte und der Skandal die Voraussetzungen dafür, dass das Projekt seinen politischen Vätern Ruhm einbringen würde. Glabrecht spürte diesen Effekt auch an sich selbst. Etwas Großes war im Gang, eine Schlacht musste gewonnen werden, und wenn dazu eine gescheite Kriegslist nötig war, zum Beispiel ein kreatives Wahrheitsmanagement – umso besser. Immer wieder wurde die Oper von Sydney erwähnt – und dass deren tatsächliche Kosten die Planung um den Faktor fünfzehn überschritten hätten – und dass genau danach heute niemand mehr fragen würde.
    4.
    Glabrechts Behörde befand sich in einem äußerst unattraktiven Hochhaus, das sich während des endlich ausklingenden Höllensommers in eine staubig riechende Trockensauna verwandelt hatte. Herr Berlepsch ließ seinen Chef auch an diesem Morgen etwa hundert Meter vor dem Gebäude aussteigen, ehe er auf den Behördenparkplatz fuhr, um zu warten und mit dem Herzen zu schlagen. Glabrecht war es unangenehm, wenn er direkt vor dem Haupteingang aussteigen musste und von den Passanten respektvoll, neugierig oder hasserfüllt angeschaut wurde.
    Der Penner war wieder da. Warum gerade heute? Wochenlang
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