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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Bremen« zum »touristischen Leuchtturm« »auf Augenhöhe mit den großen europäischen Kreativmetropolen« machen würde.
    Glabrecht ertrug all diese Labervokabeln dadurch, dass er sie selbst epidemisch und mit sadistischem Genuss verwendete, noch häufiger, als seine Senatskollegen das taten. Am liebsten war ihm der »Leuchtturm«. Dessen Auftauchen in einem Text war ein absolut sicheres Zeichen für die intellektuelle Beschränktheit des Verfassers. Dr. Fröhlich sprach neuerdings von »kulturellen Leuchttürmen«, ja sogar von »Leuchtturmeffekten«, die Dinge angeblich zeitigen sollten.
    Während einer Pressekonferenz hatte Bürgermeister Reinhard Alte sich jüngst zu der Wahnsinnsmetapher verstiegen, das neue bremische eventkulturelle Großprojekt, die Maritime Oper , kurz MO genannt, mit gedehntem »O«, mit dem riesigen Meerwasseraquarium, der Sea-World , im Gebäudesockel, mit all den anderen Vorhaben der geplanten Maritimen Erlebniswelt werde ein »Leuchtturm in der Wüste« sein, was niemanden außer Glabrecht, dessen Bilderwelt sich von den gehörten Wörtern nicht lösen konnte, zum Lachen gebracht hatte. Immer wieder blitzte fortan jener Sahara-Leuchtturm in seiner Phantasie auf: riesige Dünen aus gelbem Sand, weites, leeres Land – und der Leuchtturm.
    Glabrecht selbst hatte wenig später, wie vom Teufel geritten, vor einer chinesischen Delegation von »creative and cultural lighthouses« gesprochen, die man in Bremen errichten werde. Keine halbe Stunde nach der Premiere adoptierte die anwesende Kollegin Dr. Fröhlich die Neuschöpfung und fügte sogar ein »emotional lighthouse« hinzu, was wiederum Glabrecht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit als »emotionalen Leuchtturm« von sich gab, ein echtes Pioniererzeugnis mit null Google -Treffern.
    Glabrecht liebte es, ganze Gesprächsrunden mit Leuchttürmen und Augenhöhen totzuschlagen, und wie man sich demnächst gut aufstellen, welche Pflöcke man einschlagen werde, wie man sich exakt an irgendwelchen Schnittstellen zu positionieren, auf was man sich zu fokussieren habe, wie man mittels innovativer und intensiv vernetzter Kompetenzzentren Wirtschaftswachstum generieren würde und so weiter, um in Bremen Meilensteine und Kreativ-Cluster errichten und Quantensprünge vollziehen zu können in Richtung »Sportmetropole«, »Musik-« oder »Designmetropole«, »Kreativmetropole«, »Talentmetropole«, »Kulturmetropole« sowieso – und was wusste der Geier für Metropolen, jeden Tag eine neue Metropole von irgendwas. Glabrecht hatte eine einstündige Google- Recherche unternommen und dabei erfahren, dass es inzwischen sogar mehrere inoffizielle »Fickmetropolen« gab, neben Hamburg, Pirmasens, Köln und Istanbul vor allem die hessische Stadt Weinheim, wegen ihrer zahlreichen und offenbar besonders hochwertigen gewerblich angebotenen Kopulationsmöglichkeiten, mit denen sie den Bedarf der zahlungskräftigen Rhein-Main-Region befriedigte.
    Bremen wandte sich also hin zum Meer – so hieß es seit Monaten in nahezu jeder Presseerklärung des Senats. Dass Bremen »eine Stadt am Fluss, eine Stadt am Meer« war, unter anderem diese überraschende Erkenntnis hatte das mehrere Hunderttausend Euro teure Gutachten mit dem Titel »Who is Bremen?« ans Licht gebracht. Es war auf Anregung der Touristik-Zentrale entstanden, um endlich die Frage zu klären, welche Identität die Stadt Bremen besaß. Glabrecht hatte eine derartige Ansammlung von hohlem Geschwätz noch nie zuvor in seinem Leben zu Gesicht bekommen.
    »Die maritime Verzauberung«, »die maritime Verheißung«, »die Maritime Metropole« – so oder ähnlich würde demgemäß die neue Stadtparole lauten, über die im Augenblick diskutiert wurde. Man würde betonen, dass sich das Meer praktisch vor der Haustür befand.
    Schließlich lagen von den drei amerikanischen Sea-World -Anlagen ebenfalls zwei nicht am Meer, nämlich diejenigen von Orlando und San Antonio. Die Bremer Maritime Oper würde das erste Gebäude auf dem großen beschäftigungslosen Hafenbecken sein, das man zugeschüttet hatte, ohne genau zu wissen zu welchem Zweck. Das Meeresaquarium im Gebäudesockel würde das größte Europas sein, größer als dasjenige von Lissabon, mit Haien drin und Kraken und allem Drum und Dran. Sogar eine Delphinshow in einer Halle mit künstlicher Sonne war geplant und oben, in der MO, auch irgendwas mit Bildender Kunst, eine »maritime Galerie« oder so, mit wechselnden Ausstellungen – da sollte
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